THE INVITATION FESTIVAL 2004 - Gent(B), Kuipke 05.03.04


Die Festivallandschaft in Belgien hatte wohl bisher ihre Höhepunkte mit dem Eurorock mitte der Neunziger (gibt es mittlerweile nicht mehr) oder mit Rock Werchter. Mit The Invitation scheint sich ein neues Festival zu etablieren, welches die schwarze Szene in Massen anziehen dürfte. Meiner Meinung war an diesem Wochende die Elektro Schiene etwas zu sehr in der Übermacht. Das war auch einer der Gründe allein den Freitag zu besuchen. Ein anderer waren die teuren Übernachtungspreise in Gent und zu guter letzt der Streß, den man mit zunehmendem Alter nicht auf die Spitze treiben sollte. Stressig genug war es trotzdem, schließlich sind sieben Stunden x 2 im Zug und eine durchgemachte Nacht nicht gerade förderlich für den Hormonhaushalt. Gelohnt hat es sich trotzdem, allein schon wegen Rosa Crux.
Der Veranstaltungsort Kuipke ist eine Radsporthalle und bot so auch mal die Möglichkeit, sich zurückzuziehen und auf der Tribüne Platz zu nehmen. Der Besucherandrang war zu Beginn sehr spärlich, steigerte sich aber stündlich und hatte beim Heimspiel von VNV Nation ihren Höhepunkt erreicht.
Die größten Kritikpunkte gibt es bei der Verpflegung und der damit zusammenhängenden, persönlichen Entsorgung. Zu essen gab es Fraß, den hätten sie auch gleich in einem Trog den Leuten vorsetzen können. Dann musste man jeden Pinkelgang mit 50 Cent honorieren. Wäre mir nicht der 50 Euro Trick ("tut mir leid aber ich hab nur noch die großen Scheine") eingefallen, hätte ich fast 5 Euro fürs Pinkeln bezahlt. Getränkepreise waren O.K.


ROSA CRUX
Das es manchmal sehr wichtig sein kann, bei einem Festival pünktlich zu Beginn da zu sein, dafür lieferte dieser Opener ein eindringliches Beispiel. Nachdem ich die Franzosen '97 beim WGT bereits gesehen hatte, wusste ich, dass einen eine perfekte Show erwarten würde. Allerdings übertrafen diese 90 Minuten meine Erwartungen um ein Vielfaches. Allein schon der Bühnenaufbau war beeindruckend. Ein drei Meter großer Glockenturm links, davor ein Klavier. Vier Trommeln, zwei Pauken standen im rechten Bereich. Eine Leinwand im mittleren Hintergrund wurde von jeweils vier übergroßen Bildern umrahmt. Eine zusätzliche Bühne für den Schlußakt war zu diesem Zeitpunkt noch von einem Vorhang bedeckt.

Zu Beginn nahm Claude vor dem Glockenturm platz und sorgte für ein sakrales Intro, während aus der Nebelwand Sänger Olivier mit verwegenem Riffing in die Szenerie trat. Die Trommel schienen wie von Geisterhand gelenkt eine Percussion Orgie zu zelebrieren. Die Band scheint mittlerweile zu einem Duo geschrumpft und wurde nur visuell von zwei Leuten begleitet, die passend zur Musik ein bedrückendes Schauspiel lieferten. Die bedrohlichen Klänge wurden mit hingebungsvollen hellen Vocals dargeboten, die Stimme, die meist lateinische Texte intonierte, ging im wahrsten Sinne durch Mark und Bein. Die Monumentalität der Stücke wurde dann auch mit perfekten Schauspielen untermalt. So wurden die beiden Schauspieler, die zuvor harmlos riesige Fahnen schwenkten, von sechs maskierten auf einer riesigen Trage durchs Publikum getragen und beschmissen wie wild mit Staub. Gefoltert wurden diese armseligen, nackten Gestalten zusätzlich in dem ihre Münder gestopft waren. Der Schlußakt des Konzertes öffnete dann den zweiten Vorhang. Eine ca. 4 mal 4 große Blechwand wurde immer wieder mit einer Kugel geschlagen, in dem der vorher gequälte seine letzte Folterei an diesem Nachmittag über sich ergehen lassen musste. Weder das Schauspiel noch die Musik ist mit Worten perfekt zu beschreiben. Musikalisch arbeitet man ebenso mit modernen, wie alten Instrumenten. Der Sound wirkt orchestral, mal bombastisch, dann wieder ruhig, voller bedrückender Momente. Insgesamt ein total dunkles Intermezzo aus Mittelalter, Romantik und Neuzeit. Wer die Chance hat, mal einen der seltenen Auftritte der Franzosen zu sehen, sollte sich auch vor längeren Anfahrten nicht scheuen, es lohnt sich. www.rosacrux.org


SALTATIO MORTIS
Auf ihrem aktuellen Album vermischt die Band altertümliche Klänge mit moderner, fast Future Pop ähnlicher Elektronik. Diese Gegensätze wurden heute von zwei großen Leinwänden beschrieben. Zum einen waren hier frühe Höhlenmalereien und alte Zeichen zu sehen. Dazu war die zweite Leinwand ein Abbild einer modernen Platine. Die Mischung aus modernen und altertümlichen Instrumenten passend davor platziert. In der Mitte eine übergroße Maske, deren Augen später brannten. Mit einem pyrotechnischen Knalleffekt begann dann das Konzert mit "Hör die Trommeln". Auch "Tanz der Tänze" und das folgende "lass mich los" waren Songs des aktuellen Werkes "erwachen". Überhaupt war das Konzert geprägt von den beiden, eher modern ausgerichteten Alben (erwachen und zweites Gesicht). Vom letzterem stammten dann die Songs "Heuchler" und "Mea Culpa". Die Band, die auf Mittelalter-Märkten gerne die Pausen zwischen den Songs mit Zwiegesprächen der beiden Sänger füllt, beschränkte sich diesmal in den Pausen auf die Beschreibung der Texte. Vor allem die aktuelle Single "falsche Freunde" sorgte im Publikum für reichlich Bewegung. Zum Schluß des sechzigminütigen Auftritts gab es dann auch altes Musikgut zu hören. "Palästinalied" war ein gelungener Spagat zwischen alt und neu. Dass man sich mittlerweile als perfekte Geschichtenerzähler sieht bewies vor allem "Daedalus". Ein gelungener Auftritt, so explosiv hatte ich die Band noch nie gesehen. www.saltatio-mortis.com


ASP
Danach war es Zeit für unseren Nosferatu Asp. Erneut mit sexy Talar und einem Ledermantel bekleidet betrat er die Bühne mit einem verschmitzten Lächeln. Die Band verzichtet größtenteils auf Schnickschnack und lässt allein ihre Musik wirken. Diese ist düster und von einer eingängigen Melodie umhaftet. "Schwarzer Schmetterling" oder vor allem "Sing child" ließen auch die Belgier nicht ruhig. Mit der aktuellen Single "Ich will brennen" hat man zudem einen neuen, clubtauglichen Track im Repertoire, der dann auch von Asp besonders angekündigt wurde, in dem er noch mal auf das Recht der Privatkopie aufmerksam machte und das Ganze mit einem Seitenhieb gegen Plattenindustrie garnierte. Obwohl sich die Band von Konzert zu Konzert steigern zu scheint, fehlte in einigen Momenten doch die Stimmung, die noch bei der letztjährigen Tour herrschte. Mit dem Titelsong von "Weltunter", welcher einer perfekte Symbiose aus eindringlicher Melodie, dunklen Gesang und betörenden Backings herstellt, gelang es dann, ein zustimmendes Kopfnicken bei den Leuten zu erzeugen, die ASP zum ersten Mal sahen. Mir persönlich gefiel vor allem das melancholische "Stille der Nacht". ASP sorgen dafür, das düstere Musik auch Spaß machen kann. www.weltunter.com


TANZWUT
Ich hab die Band im letzten Jahr zu oft gesehen. Und heute war es bestimmt nicht der beste Auftritt der Band. Sänger Teufel verzweifelte bereits früh daran, die Massen zu animieren, und so besann man sich darauf, sein Programm abzuspielen. Selten hat sich der Spruch, die Fans können ein Konzert zum Ereignis machen, derart negativ auf die Show ausgewirkt. Musikalisch lieferte man erneut einen soliden Auftritt ab, aber nie schien der Funke überzuspringen. Evtl. könnte sich Teufel auch mal andere Ansagen überlegen. "Lasst uns durchdrehen" oder "und jetzt tanzt" wirkt mittlerweile zu sehr einstudiert. Eine Beschreibung der Show erspare ich mir, weil die Setlist fast identisch mit der letzten Tour war.


DIARY OF DREAMS
Ohne andere Bands zu diffamieren, für mich war mit Adrian Hates der beste Sänger des heutigen Tages am Start. Litt er beim letzten Konzert noch unter einer starken Angina, konnte er heute seine ganze Gewalt der Stimmbänder über die verträumte, sehr atmosphärische Musik legen. Und Adrian lebte von Song zu Song mehr auf. Er benutzte die Lauffläche vor der Bühne, intonierte das bedrückende Traumtänzer in stiller, fast andächtiger Manier und sorgte mit kurzen, aber prägnanten Ansagen für Stimmung. Der Beginn eher getragen, ließ man mit "O' Brother sleep" gleich einen Knaller des aktuellen Albums folgen. Etwas zurück ging man mit dem im Refrain etwas schrägen "Soul Stripper". Dezente visuelle Untermalung erfuhr die Musik durch kleine Videoprojektionen. Das melancholische "Traumtänzer" wurde gefolgt vom eindringlichen "Sie". Die elektronischen Flächen ummalt von wilden Saiten. Adrian gelang es, das mittlerweile voller gewordene Auditorium in Bewegung zu versetzen. Das Konzert endete dann mit gegenseitigen Danksagungen.


VNV NATION
Ohne die anderen Bands übervorteilen zu wollen, hier war die schlechteste Band des heutigen Tages am Start. Eines Top Act unwürdig lieferte uns das belgische Duo einen Soundbrei aus Elektronik, Techno und Future Pop. Aber was hier für eine Stimmung herrschte, war unbeschreiblich. Die sich wild bewegende Masse sang fast jeden Song enthusiastisch mit, tanzte sich den Verstand aus den Leib und malträtierte ihre Hände mit monumentalen Klatscheinlagen nach jedem Song. Was für mich ein musikalischer Offenbarungseid war, war für viele ein monumentaler Samenerguss. Negativer Gipfelpunkt war das Techno Instrumental Produkt am Schluß. Geschickter Schachzug der Band war natürlich der billige Verkauf von Speed und Ecstasy kurz vor dem Auftritt. Hatte ich natürlich nicht mitgekriegt, weil ich mal wieder vor der Toilette kämpfen musste, um etwas Cent zu sparen.


FAZIT
Es gibt zwar viele Dinge, die ich niemals verstehen werde (VNV Nation), aber im Gesamteindruck bleibt ein sehr positiver Eindruck. Zum Einen kann ich auf dem Sterbebett meinen imaginären Kindern vom Auftritt Rosa Crux' berichten, weil ich ihn wohl nie vergessen werde, zum Anderen hab' ich mir Wolfsheim erspart, die am nächsten Tag spielten. Fader Beigeschmack war, das ich "Elusive" verpasst habe. (andreas)