SARSTEDT OPEN AIR :: Mehr als nur ein Familienfest
JUZ Klecks in Sarstedt am 11.09.2010
u.a. mit The Other, Jingo de Lunch, Bad Nenndorf Boys
(Fotos by Chris & Michi)


Sarstedt... Diesen Ort durfte ich Anfang der Neunziger mehrfach besuchen, als ich während meiner Ausbildung in einem Bildungszentrum einer große Krankenkasse untergebracht war. Musikalisch ist mir der Ort allerdings nicht in bester Erinnerung geblieben, hat sich in der damaligen Disko (ich weiß den Namen leider nicht mehr), doch häufiger fragwürdiges Volk getümmelt und auch die Musik war nicht meine Baustelle. Nur wenige Jahre nach meiner Ausbildung scheint sich das Blatt gewendet zu haben und seit 1998 veranstaltet man jährlich das SARSTEDT OPEN AIR. Dieses Festival richtig sich ausdrücklich gegen Gewalt und wird von einem engagierten Team organisiert, die viel Herzblut in die Sache stecken und aus dem Umfeld der Jugendkultur AG Sarstedt und dem JUZ Klecks stammen.

Die Historie liest sich für ein kleines Festival durchaus beachtlich, haben doch schon Bands wie BEATSTEAKS, PETER AND THE TEST TUBE BABIES oder MR. IRISH BASTARD den Weg auf den Hinterhof gefunden. Dieses Jahr hat man sich mit den reunierten JINGO DE LUNCH und THE OTHER zwei absolute Hochkaräter geangelt, aber mal alles schön der Reihe nach!

Das Team ist heute mehr als angeschlagen und irgendwie hat sich jeder als Fahrer angeboten, da er irgendein Zipperlein hat, welches ihn vom exzessiven Biertrinken abhält. Der Eine hat Magenprobleme, der Andere führt 'ne Antibiotikatherapie durch, der Dritte leidet unter den Folgen einer schmerzhaften Nasen-OP und die Vierte grübelt über den universellen Weltschmerz nach. Naja, trotz einer Umleitung kommt das rollende Seniorenheim pünktlich in Sarstedt an und wir sind erst mal erstaunt, dass das JUZ Klecks mitten im Wohngebiet liegt, was dann aber auch das relativ frühe Ende der Open Air plausibel macht. Naja, und der Rentner-Gang kommt der frühe Schluss auch sehr entgegen, damit man seinen Wehwehchen noch etwas pflegen kann.

Das Festival findet tatsächlich im Hinterhof des JUZ statt, ist schön klein, hat aber einen mehrstufigen Grashügel vor der Bühne, so dass auch die Leute perfekt gucken können, die nicht direkt vor der Bühne abrocken wollen. Die Verpflegungslage ist gut und relativ preiswert und ein Getränke- und ein Futterstand sind völlig ausreichend.




Kurz nach unserer Ankunft kommt dann auch schon die insgesamt vierte Band auf die Bühne: die BAD NENNDORF BOYS kamen, sahen und verbreiten gute Laune! Ihr Mix aus Punk, Rock, Ska sorgt bei den sommerlichen Temperaturen für die perfekte Untermalung und die stylisch in Trainingsanzüge gekleidete Band schafft es tatsächlich, den spärlich Anwesenden Fans ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Bei vorhergehendem Myspace-Studium (www.myspace.com/badnenndorfboys) war ich erst skeptisch, da die Stimme mir nicht hundertprozentig gefallen hat, aber auch dieses kritisch beäugte Manko wurde von der Bühne geblasen! Es passt alles hervorragend, die Texte sind intelligent und witzig, die Bläser spielen richtig mit und sind nicht nur eintönige Hintergrundtröten und auch der Härtegrad ist durchaus angemessen. Mir hat's Spaß gemacht, auch wenn die 45 Minuten durchaus ausreichend waren, wie ich finde.




SHEARER? Kann ich wenig zu sagen. Die Gitarre war blau, die Mucke unglaublich belanglos und (um es kurz, schmerzlos und ehrlich zu machen) einfach mies. "Independent Rock 2.0" steht auf dem Backdrop. Und das ist wieder einmal ein Beweis, dass das Original meistens besser ist, als die Kopie. Und die dummen Sprüche vom Frontmann waren weder sympathisch, unterhaltsam oder lustig. Wäre die Band wenigstens ein bisschen gut gewesen, hätte man sich ja auch von dem Hügel hinunter bewegt, aber das wäre bei der Präsentation Kräfteverschwendung gewesen. Schade um die gestohlene Zeit.




Was SHEARER fehlt, haben JINGO DE LUNCH tonnenweise: Authentizität, Energie, Biss, gute Songs und eine Frontfrau, die mit ihren Statements auf wundersamer Weise mit mir auf einer Welle liegt. Ich kenne JINGO DE LUNCH aus einem "kleinen Dorf namens Kreuzberg" noch von ihrer Zeit bis 1991 und danach kenne ich gar nichts mehr, aber vor allem das Hammeralbum "Underdog" ist mir in Erinnerung geblieben. Wobei ich gestehen muss, dass mir bei dem Gig doch nur sehr wenige Songs bekannt vorkamen. Da bin ich lieber ehrlich, als dass ich hier den großen Experten raushängen lasse. Was ich aber unterschreiben kann, ist das die Band live richtig geil rockt! Yvonne Ducksworth ist hervorragend bei Stimme, die Ansagen treffen in ihrer berlinerisch-deutsch-englischen Mundart den Nerv des Verfassers und zeigen, dass Musiker nicht ausschließlich zur Unterhaltung auf der Bühne stehen, sondern ihre Meinung zu politischen Sachen sagen sollten. Wenn sie denn überhaupt was Intelligentes zu sagen haben, wie Yvonne halt.

Aber auch die musikalische Marschrichtung passt: Hardcore der alten Bandtage spürt man als Vibe sehr deutlich, wenn auch die Musik deutlich rockiger kommt. Dennoch ist jede Minute des Auftritts unterhaltsam und ich glaube, dass diese Reunion ihren Zweck erfüllt. Der Zweck ist laut der Band: Spaß haben! Gibt es was besseres, als mit seinem Job Spaß zu haben? Ich glaube nicht. Gitarrist Gary zockt feine Riffs und scheut sich auch nicht, geile Soli rauszuhauen, die u.a. den Hit "Growing Pains" zu veredeln und Rastafari und Bassist Henning groovt sich in eine Rausch und Schlagwerker Steve sorgt für den richtigen Punch. Mein Fazit gelungener Auftritt und wieder eine Band, die in einem kleinen verschwitzten Club alles aus dir rausholen wird. Checkt mal die neuen Tracks des demnächst erscheinenden Albums "Land of the Free-ks" und die Tourdaten auf www.myspace.com/jingodelunch.





Wieder wird die Umbaupause auf das Nötigste reduziert und nach relativ kurzer Wartezeit kommt der würdige Headliner THE OTHER auf die stimmungsvoll hergerichtete Bühne. Meinem Empfinden nach haben wir es bei THE OTHER mit einer extrem professionellen Band zu tun, die allerdings auch liebt, was sie tut, denn der Auftritt macht nicht nur den (jetzt) zahlreichen Fans Spaß! Die Band bezieht die Leute mit ein und ist sich nicht zu eitel, um so manchen Refrain von den Fans singen zu lassen, was manchmal ganz cool und manchmal einfach grauenhaft klingt. Aber ich kenne da jemanden, der sich mit THE OTHER sehr gut auskennt und sicherlich noch mehr dazu sagen kann. (chris)

Oh, damit bin ich wohl gemeint. Naja für mich ist dieses Konzert von besonderer Interesse, da ich THE OTHER bisher nur von den großen Festivals wie dem Amphi oder dem Mera Luna kenne, bei denen die Kölner Horrorpunker leider immer im Vorprogramm und jeweils nicht länger als 30 Minuten spielen durften. Beeindruckend finde ich, wie trotz aller Enge die Bühne trotzdem mit allerlei Kerzen und Kirchenfenstern geschmückt wird. So ist die visuelle Stimmung natürlich perfekt und passend optisch treten auch Sänger Rod Usher, Gitarrist Sarge von Rock, Bassist Migore Drake und natürlich Drummer Dr. Caligari in ihren stilgerechten Horroroutfits in Erscheinung. Cool wie vor allem Rod mit den Fans interagiert und keinerlei Berührungsängste zeigt. Klar kann man das als professionell bezeichnen aber genau so wollen wir doch unsere Lieblingsbands sehen.

Die Songauswahl ist am heutigen Abend natürlich sehr großzügig gestaltet, denn bei 90 Minuten Spielzeit werden neben den bekannten Hits wie "Back To The Cemetery", "Hier kommt die Dunkelheit", "Lover´s Lane" oder "Last Man On Earth" von den letzten beiden Alben auch ganz alte Schinken gespielt, die auf Support-Auftritten sonst keine Verwendung finden können. Besonders die klassischen Horrorpunkbackgrounds bestehend aus Ohhhs, Uhhhhs und Ahhhhs finde ich bei den alten Stücken wie "Beware Of Ghouls" oder "The Creature From The Black Lagoon" richtig geil. Aber auch der eher punkige musikalische Einfluss bei den alten Songs ist noch viel stärker ausgeprägt und macht richtig Laune beim Hören. Bester Beweis dafür ist der Kracher "Become Undead". Ja also, ich fand die gesamte Spielzeit außerordentlich gut und abwechslungsreich und muss sagen, dass es THE OTHER sich durchaus auch verdient haben, hier und da mal die Headliner-Rolle zu spielen, denn die Befähigung dazu wurde heute sehr souverän und sympathisch unter Beweis gestellt. Indiz dafür sind auch die zufriedenen Zuschauer, die mit jeder Menge Tanzfreude und Beifall diesem Auftritt den richtigen Rahmen gegeben haben.
Übrigens: auf alle Horrorpunkfans kommt ein ganz großes Highlight zu, denn THE OTHER treten zusammen mit anderen befreundeten Szenebands auf einer Reihe von Horrorpunkfestivals auf. Guckt mal auf www.myspace.com/theother nach Terminen vor eurer Haustür. Nur mal son kleiner Tipp!



So, das Fazit des Abends überlasse ich wieder dir Chris, denn auch was die ersten Bands des Abends angeht, hast du ja bereits genau die Gedanken in passende Worte verfasst, die auch in meinem Antibiotika verseuchten Kopf herumgeistern. (michi)

Ok, unser Fazit des Festivals: Die Bands, die wir gesehen haben, waren überwiegend gut bis hervorragend und es ist einfach mehr als schade, dass wir das Festival 12 Mal komplett verschlafen haben. Sowohl die Organisation, als auch die Location ist sehr gelungen, familiär und jedem zu empfehlen. Ich bin jetzt schon gespannt, welches Highlight sich die Organisatoren für das nächste Jahr angeln. Haltet als Niedersachsen mal die Webseite www.sarstedtopenair.tk im Auge, es wird sich sicherlich lohnen! (chris)


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