Nichts bleibt wie es war Goethes Erben (Lyrik Wave) 1990 bekam ich ein Flyer des "Danse Macabre" Labels in die Hand gedrückt. Die ersten Veröffentlichungen neuer Bands wurden angekündigt. Das Besondere war, das einige dieser Bands eine vollkommen neue Musikrichtung vertraten. Die später despektierlich als "Neue deutsche Todeskunst" bezeichnet wurde. Goethes Erben überzeugten von Beginn an mit einer sprachlichen Kraft zwischen Endzeitromantik und bösen Erzählungen. 11 Jahre und 25 Veröffentlichungen später klingen die Erben frisch und unverbraucht wie zu Beginn. Trotz einer enormen Weiterentwicklung und das Spielen mit verschiedenen musikalischen Stilen, ist das neue Werk immer noch Goethes Erben pur. Der Hang zum Extremen, was sowohl die Worte, als auch die musikalische Umsetzung betrifft ist noch deutlicher zum Tragen gekommen. Mehr zum neuen Album und zur Zusammenarbeit mit Peter Heppner (Wolfsheim) erfahrt ihr im folgenden Gespräch. (andreas) Vor einem Jahr war es noch nicht sicher, ob es überhaupt ein neues Album geben würde. Was war der Auslöser, es doch zu tun? O: Da kann sich jeder bei unseren Fans bedanken. Wir haben diese Entscheidung während des letzten Drittels unserer Tournee gefasst. Wir haben gemerkt, dass die Leute sich dafür interessieren, was wir machen. Beim letzten Interview erwähntest Du, daß euch momentan das Geld für eine Veröffentlichung fehlen würde. Hat sich daran was geändert. O: Mindy hat ihre Katze verkauft, ich hab eine Bank überfallen. Im Ernst. Wir haben das Geld irgendwie aufgetrieben. Zudem hatten wir Unterstützung der unterschiedlichsten Leute, die erstmal auf ihre Honorare oder Gagen verzichtet haben. Durch den kürzlich erfolgten Angriff auf Amerika, bekommt euer Album einen aktuellen Bezug. O: Wir beschreiben auf unserer CD zornige Utopien. Aber Utopien und Zukunftsvisionen können halt von der Realität eingeholt werden. Manchmal schneller als man denkt. Können wir die zornigen Utopien verhindern? O: Ja, indem jeder versucht durch sein Leben etwas zum positiven zu verändern. Auch in seinem kleinen Bereich. Nur dann wird sich, hoffentlich, eine Utopie nicht bewahrheiten. Für mich gehört Fleischschuld zu den bisher extremsten Texten. Was ist der Hintergrund des Songs? O: Es ist eine überzogene Sicht der Zukunft, die irgendwann einmal Menschen in die mittelalterlichen Phasen der Bestrafungsmethoden zurück führt. Wenn ich mir die fundamentalen Teile des Islam anschaue. Und nur die fundamentalen, man darf da natürlich nicht alles in einem Topf werfen. Wenn man diejenigen betrachtet, die die Sharia über alles stellen. Und in der Sharia sind halt auch Leibstrafen vorgesehen. Ein aktueller Bezug sind im Moment die Taliban in Afghanisten. In ihren totalitären Regime ist es den Frauen verboten Schmuck wie zum Beispiel Ringe zu tragen. Verstoßen diese Frauen gegen dieses Gebot, ist die Strafe, das ihr Finger abgeschnitten wird. Das ist Realität. Auch in Saudi Arabien wird Leuten, die geklaut haben, die Hand abgehackt. Oder ein etwas anderer Aspekt der Fleischschuld: In China werden Leute per Kopfschuß hingerichtet und dahinter wartet schon der Arzt zur Organentnahme. Wir sind nicht weit von diesem subtilen entfernt. Im Vorwort steht geschrieben: "Fleischschuld sollte auch von jedem als solchen Verstanden werden", also als Utopie? O: Nein, nicht als Utopie, sondern als nicht wünschenswert, das ist ein großer Unterschied. Ich zeige ja gerade in diesen nicht wünschenswerten Utopien, zornige Utopien. Das ist etwas, was ich befürchte, wo wir drauf zusteuern. Zwar nicht so extrem wie ich es darstelle, aber diese Extreme entsteht ja hauptsächlich dadurch, daß ich ein Kind als Opfer benutze. Ganz ehrlich, wenn ich einen ganz normalen erwachsenen Menschen bestraft hätte, würde kein Hahn danach krähen. Weil ich aber ein Kind nehme, wirkt das Ganze besonders böse. Das ist ja ein absoluter Tabubruch. Den ich aber ganz bewußt gemacht hab. Du hast das Album in drei Teile unterteilt. Steht jeder Teil für sich, oder ist das Eine die logische Konsequenz des Anderen? Ich würde mal sagen, keiner der drei Teile kann für sich allein stehen. Weil es wäre dann immer nur ein Fragment von dem, was das Album aussagen will. In "nichts bleibt wie es war" geht es eigentlich darum, wie wir Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durchwandern. Es ist letzten Endes unsere eigene Geschichte und unsere eigene Sichtweise der Dinge, und wie wir Realität um uns herum wahrnehmen. Auch von der gesamten Bandbreite der Texte und Musik. Ich glaube auch, kein Album der Erben war bis jetzt von der musikalischen Seite her so facettenreich. Würdest Du das Album eher als sehr persönlich, oder als abstraktes Bildnis der Menschen sehen? O: Beides. Denn wir sind alle Teil eines Ganzen. Und das Ganze kann nur mit diesen Teilen funktionieren. Es gibt Dinge die relativ persönlich sind, von dem Gefühl her, das ich hatte, als ich sie geschrieben habe. Aber ich werde nie einen Text so schreiben, das man erkennt, was ich genau in diesem Moment dachte. Die Texte lassen viel Platz für Interpretationen? O: Interpretation find ich gut. Nur nicht falsch verstehen sollte man es. Wenn jemand sagen würde "Fleischschuld" sehe er nur als blutrünstiges Spektakel, dann hat er nicht verstanden, worum es eigentlich geht? Damals wurde "Iphigenie" ähnlich falsch verstanden. Hast Du teilweise Angst davor, daß deine Texte falsch verstanden werden? O: Ja. Generell das sie jeder versteht ist mir egal, ich möchte nur nicht komplett falsch verstanden werden. Das heißt, daß man etwas hinein interpretiert, was nicht vorhanden ist. Aus diesem Grund habe ich auch den Begleittext im Booklet veröffentlicht. Dieser Begleittext ist auch für das Verständnisder CD sehr wichtig. Auf der Bühne, wen wir dieses Stück aufführen gibt es sehr viel bindenden Sprachanteil, der auf der CD fehlt. Warst Du bei den Auftritten im April nervöser als sonst, weil ja das meiste, bzw. das gesamte Hauptprogramm nicht bekannt war? O: Das kommt ja öfter vor. Wir haben ja auch "Schach" oder "Kondition:Macht" aufgeführt, ohne das es jemand gekannt hat. Nervös eigentlich nur bei den ersten Aufführungen. Ich bin ansonsten konzentriert, aber das ist auch die Dramaturgie von dem Stück. Ich wird ja während des Stücks auch inhaltlich etwas lockerer. Spätestens beim Dialog zwischen der 1 und der 3 hat man auch die humorvollen Aspekte erkennen können. Wie war die Reaktion beim Publikum, teilweise hab ich auch einige verstörte Gesichter gesehen? O: Letzteres spätestens bei "Zimmer 34". Darauf war ich gefaßt. Denn nicht jeder bekommt bei einem Goethes Erben Konzert einen Besen ins Gesicht geworfen. Wo wir schon bei "Zimmer34" sind. Es innert ein wenig an Neubauten ("Wasserturm") ? O: Das ist auf jeden Fall nicht der Aspekt, den ich dabei dachte. Ich habe eine Interpretationsform gewählt, wie ich das am Besten rüber bekomme. Diese Distanz zum Text und die Emotionslosigkeit des Vortrages. Letzten Endes ist das Stück auf dem Album ein komplettes resampling eines Live- Geschehens. Da bis auf die Base Drum und dem Basslauf am Schluß des Stückes alles aus Live Fragmenten besteht. Ich habe verschiedene "Zimmer 34" Live Mitschnitte genommen, zerstückelt und wieder zusammen gesetzt. Daraus später die Rhythmik aufgebaut und den Lärm. Wir haben also das Stück im Studio nicht eingespielt oder eingesungen. Es ist von einem Diktiergerät aufgenommener und über Dat abgespielter Live Ton. Es soll eine kalte Stimmung erzeugt werden, deshalb habe ich diese Form der Darstellung gewählt. Ich hab auch Live das Stück nicht selbst gesungen, ich hab es nur performt. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Peter Heppner, der auf der aktuellen Single "Glasgarten" singt? M: Glasgarten ist bereits ein älteres Stück von Goethes Erben, welches wir einfach noch nicht aufgenommen haben. Wir haben es schon eine Weile Live gespielt, aber uns hat immer irgendwas gefehlt. Wir wollten eine markante, schöne Stimme, die auch richtig singen kann. Einfach ein Gegenpart zu Oswalds Sprachgesang. Da fiel uns Peter ein, der eine warme, schöne Stimme besitzt. Wir haben ihm dann unsere Demo Version geschickt und sehr gespannt auf seine Antwort gewartet. Nach ein paar Wochen war dann eine CD in der Post. Er hat dann gleich seine Idee aufgenommen und das hat uns sehr gefallen. Das war der Anfang von "Glasgarten" mit Peter Heppner. O: Wobei am Anfang nicht an eine Single gedacht war. Da Peter schlechte Erfahrungen bei "Die Flut" gemacht hat. Es war halt nur ein Gesangsbeitrag für das Album geplant. Die Single Version hört sich deshalb auch vollkommen anders an, als die Album Version. Während das Stück auf dem Album 100% Goethes Erben mit dem I-Tüpfelchen Peter Heppner ist. Während bei der Single Version Peter und Jürgen Jansen ziemlich stark dran beteiligt gewesen. Habt ihr das Demo auch an andere Sänger gaschickt? O: Wenn er es nicht gemacht hätte, hätten wir es mit keinem zusammen gemacht. Ich hätte dann vielleicht irgendeine Instrumentalstimme genommen, um diesen Chorus zu tragen. Für mich war klar ich will keine 08/15 niedliche, nette Frauenstimme haben, wie sie alltäglich ist, sondern ich wollte eine Stimme haben, die Leben erzielt in ihrem Klang. Mir viel da nur Marianne Faithfull ein, die auch eine lebendige Stimme hat, die jetzt nicht unbedingt ultraschön ist, aber wo man erkennt, Mensch, da steckt Leben dahinter. Man merkt das auch bei Peters Stimme, da schwingt halt in der Melodie sehr viel Gefühl, es berührt ganz einfach. Gibt es einen kommerziellen Grund für die Zusammenarbeit mit Peter? O: Nein. Also vordergründig auf jedem Fall nicht. Und hintergründig auch nicht. Welchen Einfluß hatte Jürgen Jansen auf das Werk? O: Peter hat Goethes Erben ideal eingefangen. Es gibt Songs wie "vermißter Traum", die gar nicht verändert wurden. Während z.B. "Schreihalt" ein wenig elektronischer ausgefallen ist. Bei den vorherigen Live Konzerten merkten wir schon, welche Songs so rund sind, daß man nicht mehr dran feilen muß. Bei Anderen haben wir uns überlegt wie man es im Studio noch editiert oder interpretiert. Ihr geht im Januar erneut auf Tour, wie wird das Programm aussehen? O: Es wird eine neue Inszenierung von "Nichts bleibt wie es war" werden. Es wird sich in Zügen ähneln, aber werden einen weiteren Gitarristen haben. Außerdem werden wir ein bißchen mehr mit Percussionarbeiten. Es wird halt ein wenig anders musikalisch und ein wenig anders optisch inszeniert werden. |