Die Wurzeln wässern
Neon Dream (Gothic Rock)

Auf ihrem Debüt "Anodyne" befreien Neon Dream den Gothic Rock von jedwedem, arabesken Ballast und bekennen sich ohne Scheu zu ihren Idolen und Wurzeln im melodiösen Wave/Gothic der 80er und 90er Jahre. So steht's im Info geschrieben und so ist es.
Bandmäßig bedeuten die 80er "Sisters of Mercy" und die 90er "69 Eyes". Dabei gelingt es der Band trotz aller nostalgischer Gefühlslehre, einen sehr eigenständigen Mix zu produzieren. Mal druckvoller Goth'n'Roll, mal sehr getragener Wave. Alles eingepackt in molligen Gitarrensound und sphärischen Keys und geschnürt mit einer Melodie, welche die schwarzen Herzen sanft dahinschmelzen lässt. Die Nostalgie als unverstaubtes Extrakt der Moderne. Allein wegen dem 8 minütigen "Viable" lohnt der Kauf. Es ist einer dieser Songs, an denen man sich nie Leid hören wird. Info: www.neondream.de (andreas)


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Als ich zum ersten Mal euren Namen las, hatte ich mit einer Synth Pop Band gerechnet. Was steckt hinter dem Bandnamen Neon Dream ?
Schubladen will ja keiner. Aber viele bedienen sich darin. Wozu? Um sich beliebt zu machen. Der Name Neon Dream ist ungewönlich für eine *schwarze* Band. Er orientiert sich an der Art, wie wir mit dem Hier und Jetzt umgehen. Wir leben 2003, nicht im Mittelalter. Neon Dream beschreibt die bizarren Züge einer modernen Art zu leben, Züge einer Gesellschaft, die sich für *moderne* Ziele selbst aufgibt. In gewisser Weise mag es ein sozialistischer Gedanke sein, obwohl nicht direkt im politischen Sinn. Man kommt sich selbst abhanden in dem täglichen Streben, *dazuzugehören*, den Anforderungen, die von anderen gestellt werden, zu genügen. Ein schrecklicher Trend. In der Nacht, in der freien Zeit, versuchen die, die noch nicht komplett abgestumpft sind, sich zu finden und ihre Wünsche zu leben. Und selbst das ist fremd, weil nicht jeder einfach so ist, wie er ist, sondern sich Scheinwelten abseits des Alltäglichen schafft. Das macht krank. Dieser ganze Zeitgeist ist es, den wir zum Thema machen und den wir versuchen, zu durchleuchten.

Auf eurem Debüt bekennt ihr euch ohne Umschweife zu den Wurzeln des Gothic Rocks. Keine Angst, dass einige Leute von Plagiat und fehlenden Ideen sprechen werden?
Das kommt ja darauf an, wo man Paralellen sieht. Wir orientieren uns an der Art Musik, die wir selbst sehr mögen und mit der wir viele schöne Momente erlebt haben, vor allem aus den 80er-Jahren. Aber wir haben nicht einen Song, der nur ansatzweise wie eine Schablone auf einen anderen gelegt werden könnte. In unserer Musik ist viel Neues. Allein schon die Kombination aus schweren melodiösen Gitarren, markantem maskulinem Gesang, einer weichen weiblichen Stimme und der Art, Harmonien eben nicht an andere Gruppen anzulehnen.

Besonders ergreifend ist die Klavierballade "If There Was A God". Kannst du uns mehr über diesen Song erzählen?
Er war auf unserem ersten Demo "Subjects On A Wire" und zwar mit dem Titel "Torn As One Can Be" als düsterer, schneller und aufreibender Goth-Rock-Song. Und er hat sich entwickelt, wie sich so vieles im Laufe der Zeit entwickelt. Er ist eine Ballade geworden. Das Stück erzählt von Erfahrungen, die ganz nah an die eigene Haut gehen können. Dass sich zwei Menschen trennen und es der eine im Grunde seiner Seele nicht verstehen kann, wieso alles Vertraute, das sonst da war, zerfließt und sich auflöst. Als ob es nie gewesen wäre. Diese - vielleicht sogar alltägliche - Geschichte wird in samtweichen, aber traurigen und kühlen Tönen erzählt.

Die Musik ist umgeben von einer morbiden Schönheit und wirkt nostalgisch, aber nicht verstaubt. Trotzdem dürften eure Fans weit jenseits der Zwanzig sein. Ist es nicht schwierig bei den Alten für Begeisterungsstürme zu sorgen?
Nein, das glaube ich gar nicht. Denn als ich etwa zu dieser Art von Musik kam, war ich viel jünger als jene, die die Entwicklung etwa von Joy Divison, The Cure, der Sisters oder And Also The Trees im Ursprung miterlebt haben. Ich kenne eine ganze Menge junger Leute, denen der Altersbezug egal ist, sondern denen diese Musik einfach gefällt. Aber es stimmt, der Trend geht eher zu anderen, elektronischen Sounds. Die ja aber augenscheinlich oft nicht viel mit musikalischem Verständnis zu tun haben, sondern mit der Ahung, wie man Maschinen bedient und der Lust, fremd, künstlich und Hauptsache *modern* zu klingen. Womit man fast schon zum Gedanken Neon Dream zurückkehren könnte...

Gothic Rock führt seit einigen Jahren in den Diskotheken ein Schattendasein. Es scheint als würden nur einige Enthusiasten noch gitarrenbetonte Düster Musik spielen. Welchen Eindruck habt ihr?
Das hat auch mit den Vorlieben der DJs zu tun. Und dem, was produziert und was angeboten wird. Ich habe zum Beispiel Songs von klasse Bands aus Italien, Belgien und den USA gehört, die hier niemals wahrgenommen werden. Das hängt überwiegend vom Angebot ab. Auch im Gothic gibt es eben Trends und jene, die damit nicht viel anfangen können/wollen. Wir hatten z.B. einmal bei einem Konzert in Berlin eine Vorband, ein Duo, aus Chemnitz, das seine Musik als EBM beschrieb. Beim Souncheck haben sich selbst die Thekenkräfte eins gelacht, weil der Gesang in keinem Verhältnis zum großen technischen Aufwand samt Computern stand, mit dem der Sound aufgemöbelt wurde. Er war einfach schlecht. Aber als die Synthesizer und Festplatten liefen, war es respektabler EBM-Sound. Es gibt nur wenige Gruppen aus diesem Bereich, vor denen ich Respekt haben kann, allen voran Front 242 und Bands wie Láme Immortelle und VNV Nation.

Könnt ihr mehr über eure Texte erzählen und deren Inhalt bzw. Aussage?
Zum Gedanken Neon Dream habe ich ja schon Ansätze erklärt. Dieses Wirklichkeitsempfinden spiegelt sich darin wider. Und: Warum wehren sich Menschen nicht, die sich überfordert fühlen, die ahnen, dass es da mehr Wirklichkeit gibt und viel mehr im Stillen geschieht, als es einem die öffentliche wohl präparierte Meinung vorgibt? Deshalb spreche ich in Viable auch von "Public educators". Aber natürlich kommen viele ganz menschlichen Wünsche, Träume und Erfahrungen - erfreuliche und schöne wie auch bedrückende - ,wie etwa in "If There Was A God", zum Tragen.

Teilweise besitzen die Songs (Red Light Anodyne oder Viable) eine Spielzeit von über 7 Minuten. Wie gelingt es euch, einen derartigen Spannungsbogen zu erzeugen, ohne in Langeweile zu verfallen?
Wir beschäftigen uns so lange mit einem Song, bis er uns gefällt. Ohne dass er die Wirkung erzielt, die wir wollen, lassen wir ihn auch nicht ruhen. Das ist eh' das Schöne: Bei Neon Dream bringen sich alle ein und wir sprechen und arbeiten zusammen. Das tut gut und ist nicht selbstverständlich.

Es gibt zwei Bands, die fast zwangsläufig in den Reviews als Vergleich dienen (The 69 Eyes und die Sisters). Wie sehr haben euch diese Bands beeinflusst und stören euch derartige Vergleiche?
Die Sisters habe ich immer schon gemocht. Bedauere aber, dass Andrew Eldritch sich absichtlich von der Musik, die er und Hussey mitbegründet haben, distanziert und die vielen Fans, die es nach wie vor gibt, im Ungewissen lässt und so eitel ist. Die Musik hat meinen musikalischen Werdegang und zwangsläufig auch den der Band beeinflusst. Sie war aber kein Vorbild. Die Jungs aus Finnland hingegen beeindrucken nicht nur, weil sie hervorragende Musik machen, sondern auch, weil sie mehrere Alben rausgebracht haben und es bis zum Durchbruch ausgehalten haben. Das ist *authentisch*. Eine starke Band mit markanter intensiver Musik. Sie gefällt uns.

Gibt es sonstige Dinge (Literatur, Film, Politik) welche euch beeinflusst haben?
Politik ist allgegenwärtig. Und ich lese auch gerne und viel. Ich denke, den anderen geht es da nicht anders. Es gibt keine direkten Bezüge. Bei uns ist wohl alles aus dem Leben gegriffen. Da fällt mir übrigens ein interessanter Titel einer Ausstellung von Udo Lindenberg ein, die er einmal in der Galerie Steinrötter in Münster präsentiert hat: "Vom Leben gezeichnet". Einige Figuren lachen auf seinen Bildern sogar...(lacht selbst)



Mit Sandra habt ihr auch eine weibliche Komponente im Gesang. Gibt es ein Grund, warum sie nicht auf dem Bandfoto vertreten ist?
Sandra hat früher bei der Gothic-/Doom-Band Velinas aus Kassel gesungen. Durch ihr Gesangsstudium kam sie nach Münster und wir waren froh, dass sie deshalb bei uns sein konnte. Denn mit Velinas gab es früher schon ganz guten Kontakt. Schade, dass es die Band nicht mehr gibt. Sandra möchte und soll lediglich ergänzend dabei sein und bei einigen Songs singen. Das geht gut.

Ist in den zweistimmigen Songs beim Schreiben der Texte bereits klar, wer welchen Part übernimmt?
Zuerst entsteht bei uns ein Song instrumental, zum Teil mit einer Idee für die Gesangslinie. Dann kommt diese und der Text. Manchmal aber ist ein Stück gleich so ausgelegt, dass Sandra und ich es gemeinsam singen. Hinzu kommen andererseits ja auch noch die Backings, an denen bis auf Randy alle beteiligt sind.

Ihr habt den Support für solch unterschiedliche Bands wie Christan Death, Sigue Sigue Sputnik oder The Merry Thougths gemacht. Gab es hier unterschiedliche Reaktionen des Publikums?
Das ist eine spannende Sache: Denn wir sind, ohne uns all zu sehr auf die Schulter klopfen zu wollen, live fast immer sehr gut angekommen. So oft haben Leute gefragt: Habt Ihr eine Platte raus? Ihr seid doch schon richtig bekannt, nicht wahr? Und dann hat es doch so lange gedauert, bis unsere erste Label-CD nun endlich erschienen ist. Das tut gut.

Gibt es einen Wunsch, welche Band ihr gerne supporten würdet?
Das sieht bei uns jeder anders. Meine Favoriten wären Type O Negative, London After Midnight und Dead Can Dance.

Gibt es Gründe warum ihr euch für Équinoxe als Label entschieden habt?
Weil wir gemerkt haben, dass die Leute von Équinoxe sehr zuverlässig arbeiten, dass sie halten, was sie versprechen und dass sie menschlich sehr ok sind. Darauf kann man mit gutem Gewissen aufbauen. Wir sind gespannt, was sich aus der Zusammenarbeit noch entwickeln wird.

Eure Ziele/Pläne für die Zukunft?
Ganz oben steht: Konzerte spielen. In der Sommerpause ist es schwierig, sich abseits der großen Festivals live präsentieren zu können. Aber ab August/September soll es wieder mit guten Konzerten weitergehen. Alle eure Leser sind herzlich eingeladen :-)

Nur die Leser ;-)