wiederentdeckte Leidenschaft
Pink turns blue (Dark Wave Rock)

Wohl eine der großartigsten Bands, welche die deutsche Wave Szene in den 80ern hervorbrachte, ist wieder zusammen. Musik, deren Intensität und deren Mischung aus Herz, Seele und Geist bis heute seines gleichen sucht.

Ich kann mich heute noch sehr gut daran erinnern, als ich vor 17 Jahren zum ersten Mal "If two worlds kiss" (Album insgesamt, Song im besonderen) hörte. Es war Liebe auf dem ersten Ohr. PTB sind bis heute, neben The Cure und The Mission, die am häufigsten gespielte Band auf der eigenen Anlage. Als ich vor über einem Jahr von dem Gerücht hörte, PTB spielen auf dem WGT, dachte ich an eine Verarschung. Wie wir wissen, war es keine, und der Auftritt hatte dann eine Macht, schwer zu beschreiben.... Nur wer das Gefühl kennt, von einem Ereignis zu zehren, seinen Alltag damit zu erleuchten, wird wissen, was ich verzweifelt in Worte fassen möchte.
Die Leidenschaft mit der Mic seine Songs beim WGT intonierte, setzte auch bei mir eine Leidenschaft frei. Ich freue mich wie ein kleines Kind auf das Konzert in Bochum am 15.05., ich freue mich auf das neue Album, auch wenn es erst im nächsten Jahr veröffentlicht wird. Schön, dass es derartige Dinge wieder in meinem Leben gibt.
Alles weitere über die Band erfahrt ihr im Interview, welches ich telefonisch mit Mic Jogwer führte. www.pinkturnsblue.com (andreas)


Review lesen


Teil 1


Wie entstand die Idee zu einer Reunion?
Die Idee hatte in der Tat Thomas Görnert vom WGT. Kurz vorher hab' ich mich mit Tom (Thomas Elbern) getroffen, der lebt in Köln und ich hatte ihn in seinem Studio besucht. Ich hatte im Vorfeld neue Songs geschrieben und ihm vorgespielt. Wir kamen dann ins Gespräch über alte Zeiten, wie die Szene heute läuft, usw. Natürlich wurde auch über PTB geredet. Der gute Tom hatte ja viele Probleme mit PTB, speziell mein Gesang, die Songs, fand immer alles ganz schrecklich. In dem Gespräch kam dann aber heraus, dass er doch ganz viele Songs gut findet und er sich vorstellen könnte, mal wieder was zusammen zu machen, das ging aber noch nicht in Richtung PTB. Gleichzeitig hab ich dann Leute getroffen wie Eric Burton (Public Propaganda/ Catastrophe Ballet), Klaus Müller (Orkus), Thomas Clausen (Sonic Seducer) und immer wieder gesprochen über neue Songs, neues Projekt ("Orden"). Es kam dann immer wieder hoch, "Pinkt turns blue ist doch 'ne geile Band", "Michelle wird immer noch gespielt", "so einen Sound gibt es momentan in Deutschland gar nicht mehr". Der Zuspruch war dann so gut, besonders auch nach dem Auftritt vom WGT, dass wir uns immer ernsthafter überlegt haben, 'ne neue Platte zu machen unter PTB mit Tom. Wir haben dann fast ein Jahr lang an dieser Idee gebrütet, es war also keine spontane Entscheidung. Gefahr war, dass ein Revival immer etwas von einer Cover-Band hat. Deshalb war es überhaupt wichtig, eine Vision zu entwickeln, was PTB für eine Relevanz in der Szene hat und ob es jemand braucht. Wir haben halt immer mehr Zuspruch bekommen von vielen, vielen Leuten in der Szene, auch von sehr jungen Leuten. Dadurch ist der Wille, mit PTB weiterzumachen, immer stärker geworden. Wir haben jetzt gerade einen Vertrieb gefunden und haben uns überlegt ein eigenes Label zu machen.


Von der Urbesetzung fehlen Markus Gieltjes und Rübi Walter, wurden auch sie gefragt?
Ja, Markus ist ja noch dabei, der hat das Cover gemacht, hat die Webseite gemacht und macht auch Songs, nur er hat sich dagegen entschieden, auf der Bühne zu stehen. Er spielt auch kein Schlagzeug mehr. Er ist festes Mitglied, aber er spielt aktiv nicht mehr mit. Rübi hat erst zugesagt, dann sich aber doch dagegen entschieden, weil er keine Lust mehr hat, auf der Bühne zu stehen. Wir werden mal sehen, ob er evtl. Songs hinzusteuern wird, er hat auch sein kleines Studio in Hamburg und bastelt da vor sich hin.


Wo liegen die Gründe, dass ihr mit dem Re-union Album nicht auf Tour geht, sondern nur den Special Gig am 15.05 im Bochumer Zwischenfall spielt?
Das Zwischenfall Konzert ist 'ne Einladung von den Thyssen Brüdern gewesen. Die Party im Zwischenfall ist praktisch die Feier der Reunion und deshalb spielen wir auch die ganzen alten Songs im bestem Geiste und eröffnen damit quasi das Spiel. Wichtig war uns auch, dass PTB Konzerte etwas besonderes bleiben. Die Gefahr ist, wenn man öfter spielt, das da Routine einkehrt und die Intensität verloren geht. Ich glaube, das Konzert in Leipzig kam deshalb so gut an, weil die Band sich ganz besonders reingehangen hat. Es ist schon unser Ziel möglichst, bald eine neue Platte zu präsentieren, und dann würden wir auch dementsprechend touren. Wir wollten im Endeffekt die Show zu etwas ganz besonderem machen und deshalb auch die Exklusivität. Es passt auch sehr gut vom Umfeld dahin, das Zwischenfall ist ein alter Kultclub und wir haben dort früher zweimal gespielt.


Bereitet ihr euch auf ein derartiges Special Konzert anders vor, bzw. gibt es ein flaues Gefühl im Magen?
Nein, überhaupt nicht. Wir haben ja in Leipzig gespielt, das auch auf Video aufgenommen, das hat ja super geklappt. Wir werden uns noch mal vorbereiten, um praktisch die Songs mit mehr Intensität rüber zu bringen. Weil uns auch wichtig ist, den alten Geist einzufangen und ihn gleichzeitig neu darzustellen. Die PTB Reunion war ein ganz langer Weg, um erst mal den Kern dieser Band zu finden. Bis 91/92 hatten wir einen einzigartigen Sound entwickelt, der auch sehr populär war. Dann sind wir nach London gegangen und haben stilistisch ein wenig die Orientierung verloren. Wir haben verschiedene Sachen ausprobiert, die uns Spaß gemacht haben, die allerdings nicht die damaligen Stärken der Band dargestellt haben. Deshalb auch die Re-union CD mit diesen Stücken, weil wir der Meinung sind, dass diese Songs die Stärke und den Wert der Band ausmachen. Bevor wir eine neue Platte machen, wollten wir uns erst auf das besinnen, was uns wertvoll macht. Wertvoll für die Szene. Eine Platte, die einen ganz klaren Bezug zu der Heimat dieser Band herstellt. Dieser Prozess war eine Art Selbstfindung.


Wie funktionierte diese Selbstfindung?
Vor 8 Jahren habe ich in London hingeschmissen, als ich dachte, es macht keinen Spaß mehr, ich weiß nicht mehr wo es hingehen soll, ich weiß nicht mehr für wen ich die Songs mache. Das macht alles kein Sinn mehr. Tm, Bridget und auch Markus haben mir geholfen, heraus zu kristallisieren, was eigentlich meine Stimme, mein Gesang und meine Songs wertvoll macht, was nur ich kann und was nur ich dann auch darstellen soll. Das haben wir damit gemacht, das wir erst mal die alten Schätze ausgegraben haben, wiederentdeckt haben und diese auch als Basis nehmen, für die neuen Songs, die ich bis jetzt geschrieben habe. Bis diese neuen Songs dann fertig sind, wird es bis Ende des Jahres dauern. In dieser Zeit wurde uns dann auch klar, das wir erst mal eine Best of machen sollten. Uns war wichtig, das wir wieder eine Basis, ein Fundament haben. Das fehlte PTB ja total. Wovor wir Angst haben, ist nicht diese Show in Bochum, weil ich glaube, die wird sehr gut werden, weil die Band einfach sehr gut ist und auch gut drauf ist. Sie hat einfach perfekt zusammen gefunden und kann diesen Kern sehr gut treffen. Angst haben wir davor, eine nicht relevante Reunion-Band zu werden. Wichtig ist, schafft man es, die wirklichen Gefühle, die auch für diese schwarze Szene stehen, für deren Inhalte stehen, die mit neuen Songs einzufangen und einen neuen Sound auch zu präsentieren. Eine Platte zu veröffentlichen, die genau die gleiche Wirkung und die gleiche Kraft hat, wie halt die alten Alben. Das ist ein gewaltiger Schritt und an dem arbeiten wir jetzt gerade intensiv.


Beim WGT fiel mir die wiederentdeckte Leidenschaft in der Art wie du die Songs singst auf. Würdest du sagen, dass diese Leidenschaft zwischenzeitlich verloren gegangen war?
Auf jeden Fall. Die Leidenschaft ging deswegen verloren, weil ich nicht mehr weiter gesucht habe. "Aerdt" war z.B. ein Projekt, was extrem anstrengend war. Das war auch das letzte Projekt, was ich in Laibach aufgenommen habe. Danach ging es nach London, weil es ein Abenteuer war, und dieses Abenteuer wurde wichtiger als die Songs. Das war sicherlich für die Band eine sehr wichtige und auch wertvolle Erfahrung, hat aber natürlich den Fans gar nichts gebracht. Musikalisch war es für uns alles super aufregend. Die Manchester Bewegung kam auf, Techno usw. Bei den neuen Sounds und neuen Instrumenten haben wir völlig ausser Acht gelassen, das man auch Geschichten erzählen kann, die wirklich wichtig sind. Wir suchten neue Wege, weg von dieser alten traurigen, romantischen, düsteren deutschen Weltsicht, aus der ich komme. Es war allerdings weit weg von dem, wo ich überhaupt inhaltlich was mitzuteilen hatte. Damals war mir das egal, jetzt retrospektiv, nachdem ich die ganzen alten Alben intensiv durchgehört habe, muß ich sagen, dass mir nur die alten Songs etwas geben. Diese 13 sehr leidenschaftlichen Songs, die geben mir etwas, die erzählen eine Geschichte, sind authentisch, das ist Mic Jogwer. Der kommt vom Dorf (lacht), hat in Köln studiert und dort Tom kennen gelernt, war in der Wave, Avantgarde und Alternativ Szene zu Hause. Die Erlebnisse mit der Musik von Joy Division, Jesus and Mary Chain, Velvet Underground usw.... das waren die Gefühle, die ich hatte und das waren die Geschichten, die aus diesen Gefühlen entstanden sind.


Glaubst du, dass du nicht nur mit dem Umzug nach London, Fehler gemacht hast, könnte PTB heute nicht ganz woanders stehen?
Das sicherlich. Ich musste (starke Betonung) aber damals nach London ziehen. Ich glaube aber, dass PTB ansonsten eine gut verkaufende sehr populäre Band wäre, irgendwo dort, mindestens, wo Deine Lakaien heute stehen. Kann natürlich auch sein, das PTB für immer verschwunden wäre. Wir haben mehr gespielt als viele andere, wir haben sehr viel Aufwand gemacht und eine sehr schlechte Plattenfirma gehabt. Die war eine Katastrophe, da haben wir nie Geld gesehen. Die Erfahrung, die wir in England gemacht haben, möchte ich aber auch nicht missen, weil es eine wichtige persönliche Geschichte war. Dieser Schritt war sicherlich ein Karrierefehler, weil wir dort irgendwann auch versumpft sind, auch finanziell. Schlimmer war aber der Verlust des Bezuges zu unserer Fanbase.


Man redet ja immer von der guten alten Zeit. Es gab aber viele Bands, die für ihre Musik kein Geld bekamen. (Blixa (E.Neubauten) erzählte dieses auch gestern beim Konzert). Wie siehst du die damaligen Dinge mit Abstand?
Früher war es halt eine sehr idealistische Zeit, es war mir egal mit dem Geld. Heute ist es mir zwar auch egal, es ist ja nicht so, dass ich irgendwelchen Leuten hinterher laufe. Es war damals so, dass eine Band, die praktisch in einem Tourbus und im Studios lebt, dieses in ärmlichen Verhältnissen tut. Das geht natürlich auch an die Substanz, du hast quasi immer mehr Schulden, kannst dir keine Gitarrensaiten mehr kaufen, das Auto fällt auseinander usw. Es kommt dann der Moment, wo du einfach nicht mehr berufsfähig bist, wo das Finanzamt hinter dir herläuft und deine Bank und du praktisch umstellt bist. Ich kannte damals sehr viele Musiker, die sich in Drogen geflüchtet sind. Natürlich gab es auch gute Plattenfirmen, wie Chrome (Deine Lakaien), Strange Ways (Wolfsheim). Das waren Firmen, die sich um die Bands gekümmert haben. Zwar substantiell anfangs auch nicht viel verkauften, aber dafür sorgten, dass die Bands weiterhin kreativ sein konnten, weiter Konzerte spielen konnten, halt dass sie nicht unter Wasser gehen. Das ist ein Verhältnis, was wir jetzt gar nicht mal erreichen wollen. Tom und ich sind uns sicher, dass wir wertvolle Geschichten zu erzählen haben, dass wir einen eigen Sound haben, der auch wichtig ist für Deutschland. Aber wir müssen ein Model finden, wo wir uns von einer Plattenfirma nicht instrumentalisieren lassen, sondern dass wir ein wirtschaftliches Grundmodell haben, dass für uns und unsere Fans funktioniert und tragfähig ist. Wir haben natürlich einen riesigen Vorteil dadurch, dass sich die Szene etabliert hat, es gibt schwarze Medien, es gibt Festivals, es gibt Booker usw., die alle sauber sind. Als PTB damals in dieser Dark Wave Szene anfing, gab es noch kein etabliertes musikalisches System.


Hilft dir momentan deine Arbeit bei Sony dabei?
Hat mir in zweierlei Hinsicht geholfen. Ich kann z.B. die Stärken und Schwächen der Musikindustrie täglich erleben. Andererseits ist es ein Job, der die Miete bezahlt. Es ist ein Job, der in der Musikindustrie stattfindet, wo man auch viele Leute kennen gelernt. Man unterschreibt natürlich nicht mehr alles. Früher habe ich Sachen unterschrieben, wie z.B. "Künstler Exklusiv Vertrag", wo ich mir heute die Haare raufen würde. Von diesen Leuten hab ich bis heute kein Geld gesehen, obwohl ich genau weiß, dass sie genügend eingenommen haben, mit Samplern und sofort. Mir geht es nicht ums Geld, sondern um die Ungerechtigkeit, weil ich weiß, dass Rübi oder Markus, die immer noch am Existenzminimum rumkrebsen, die könnten davon wahrscheinlich heute ihre Miete zahlen.


Um mal wieder auf die Musik zurückzukommen. Ich denke, dass viele der alten Songs in einer gewissen Stimmungslage entstanden sind. Wenn du heute die alten Songs singst, denkst du dann an die Entstehungsgeschichte zurück?
Songs sind wie ein altes Fotoalbum. Ich weiß ganz genau, wann ich den Song geschrieben habe, wann ich ihn aufgenommen hab. Ich kann mich an Momente erinnern, wann der Song live besonders gelungen war. Wenn ich einen Song singe, ist es wie ein Snapshot, die Gefühle kommen sofort wieder. Jeder Song ist ein in mir entstandenes Gefühl, welches praktisch ein Teil meines Lebens darstellt. Teils sind es sehr extreme Situationen, die präsent sind, wenn ich dieses Stück singe.


Wenn du sagst, Songs sind wie ein Fotoalbum, stellen wir uns mal vor, du blätterst darin, welches Foto würdest du dir intensiver betrachten?
Es gibt Lieder, die für mich eine unheimliche Wucht haben. Mein All time Klassiker bei PTB ist definitiv "Your master is calling". Das ist praktisch meine Hymne. Weil es eine wunderschöne Mischung aus Tiefgang und Kraft besitzt. Es gibt Stücke wie "Moon" oder "Aerdt". "Aerdt" ist nicht auf dem Album, weil ich es nicht so gerne live spielen möchte und auch nicht kann, glaube ich. Viele Songs, wo sehr intensive reflektive Geschichten dabei sind. "coldly stare out", wo ich mich einfach dargestellt sehe.




Teil 2


Leider fehlt in der Aufzählung mein Lieblingssong, "if two worlds kiss", könntest du ein wenig über den Song erzählen?
Es ist ein ganz früher Song von PTB und einer der ersten, der entstand, nachdem Tom die Band verlassen hat (das war noch vor der VÖ der ersten Platte, einige Stücke sind noch mit ihm zusammen entstanden). Er handelt von Menschen, die einfach nicht zusammenpassen und wieder auseinander gehen. Dieses kann man auf Beziehungen aller Art anwenden. Zusätzlich geht es um zwei Ebenen, die eine Ebene ist die Welt, die entsteht, wenn zwei unterschiedliche Charaktere etwas miteinander zu tun haben. Die andere Ebene hat etwas mit einer Gegenwelt zu tun, z.B. die ganze Gothic/Dark Wave Szene ist ja praktisch eine Parallelwelt. Es geht um Sinnsuche. Inhalt sind diese beiden Welten, das "eins sein" mit seiner Umwelt und der Abwechslungsmanöver-Welt, die für Karriere, Konsum und Wirtschaft notwendig ist. Das Ganze geht ja hin bis zu einer Welt, die Kriege braucht, Hungersnöte braucht, um überhaupt Wirtschaftswachstum zu erreichen. Von diesen beiden Welten handelt der Song.


Hast du dich in den letzten Jahren verändert?
Wenig. Was sich sicherlich verändert hat ist, dass ich mehrdimensionaler unterwegs bin. Ich habe gelernt, Menschen zu akzeptieren. Früher war jeder Mensch, der nicht Musiker war, der nicht künstlerisch unterwegs war, also für meine Art von Schönheit kämpfte (Schönheit war für mich ein guter Song, der was zu sagen hatte), für mich praktisch nicht existent. Inzwischen ist es so, dass ich in jedem Menschen einen Schatz sehen kann. Der Respekt vor anderen Personen ist wesentlich größer geworden, weil ich Menschen, die ich vorher als unscheinbar oder flach erlebt habe...., die meisten davon haben diese Tiefgründigkeit, die meisten haben diese Sehnsucht nach dem Wesentlichen. Was sich nicht geändert hat, ist mein Verhältnis zur klassischen Medienlandschaft, welche eher schlimmer geworden ist. Als ich jung war gab's Pershing, die Mauer, es gab zwar keine direkten Feindbilder, aber Irritationen. Heutzutage gibt es nicht mal mehr klare Irritationen. Früher waren für mich die Grünen die Helden, es gab noch einen gewissen Idealismus in der Politik, kann auch sein, dass ich damals ein bisschen naiv war. Heutzutage hat die Wirtschaft die Politik gekauft, ebenso die Medien. Es gibt keine Ideologie mehr, die für sich selbst steht und wenn, wird sie belächelt weil es dann so naiv wirkt, in dem ganzen globalisierten Wirtschaftszusammenhang, dass man es nicht mehr ernst nehmen kann. Die einzige Chance, die ich für mich noch sehe, aktiv zu sein, ist, das wesentliche Element des Seins darzustellen und dafür zu werben. Das kann ich natürlich auch als Sänger nur in ganz begrenztem Maße, trotzdem hat es eine gewisse innerliche Kraft.
Es ist wie eine Flamme, die man trägt. Es ist viel idealistischer als früher. Früher war Punk z.B. 'ne Attitude, die tatsächlich auch bedroht hat oder Wave mit unserem Trauer tragen. Das allerdings mit einem gewissen Stolz, einer Antihaltung, heutzutage kann ich sagen: Grufties tragen Trauer, aber auch mit einer gewissen Resignation dabei. Ich steh dazu, dass die Welt mehr sein muß als eure Scheingründe, warum man so oder so leben muß, aber die Kraft ist ganz, ganz tief innen drin. Sie ist in der Kultur, sie ist nicht mehr auf der Strasse. Es wirft keiner mehr Steine. Wenn noch jemand Steine wirft, dann, weil der 1.Mai in Berlin ist, aber nicht weil man glaubt inhaltlich noch etwas ausrichten zu können. Man muß einfach sagen, George Bush hat gewonnen, ihm gehört die Welt. Die einzige Möglichkeit ihn davon abzubringen diese Weltherrschaft langfristig auszuüben, ist halt das Bewusstsein der Menschen zu stärken. Das heißt für mich: Die Waffe nützt nichts mehr. Das System lässt sich nur noch reparieren, wenn überhaupt, wenn man Bewusstsein schafft. Wenn man die Leute dazu animiert die schönen (bzw. wesentlichen) Momente des Lebens zu erkennen, zu erleben, zu teilen und weiter zu tragen.


Insgesamt hör ich ein bisschen Verzweiflung raus. Ist das ein guter Nährboden für neue PTB Songs im alten Geist?
Verzweiflung? Also vom Typ her war ich in meinem Leben noch nie verzweifelt. PTB Songs im alten Geist sind ein Aufschrei (lange Überlegungsphase), eine nie enden wollende Sehnsucht. Ein niemals aufzugebender Kampf, um das seelische Überleben. Für alle, deren Seele noch etwas bedeutet. Die Seele ist der Spirit, der Geist. Das Inhaltliche ist das Wichtigste und nicht das blanke materielle Überleben. Zu Verzweiflung kann ich noch sagen: PTB hat eher etwas kriegerisches als etwas resignierendes. Der Gesang z.B. war immer traurig, aber trotzdem stark. Er war immer einsam, aber niemals jammernd. Wichtig ist halt, es ist ein Appell, es hat Kraft. Wenn ich meine Songs höre, klinge ich immer wie so ein einsamer Krieger, zum Teil ein bisschen naiv. Ich kämpfe für ein Gefühl. Ich schreie sicherlich meine Trauer raus, aber ich geb mir damit auch Kraft. Ich schreibe meine Songs gerne Abends, wenn es dunkel wird. Dann sitz ich da und klimper auf meiner Gitarre rum und singe zunächst erst mal belangloses Zeug. Dann kommt irgendwann der Moment, in dem alle meine Gefühle, die ich habe zu dieser Welt und der Situation, aus mir rausbrüllen und das gibt mir Kraft. Das hat manchmal gar einen religiösen Effekt. PTB ist nicht resignierend, es ist halt extrem gefühlsstark. Gefühl ist allerdings immer angreifbar, teilweise sehr zart und kann auch leicht als Romantik-Kitsch wahrgenommen werden, es ist aber authentisch, weil es unheimlich nah an Menschlichkeit ist. Für mich sind die Songs von PTB Menschlichkeit in ihrem ganzen Glanz.


Wie wichtig sind die Texte im Kontext mit der atmosphärischen, melancholischen Musik?
EXTREM. Wenn ich sie singe, nehme ich sie gar nicht mehr so wahr, weil ich meine Texte nicht bewusst schreibe, es kommt halt irgendwie so raus. Deswegen entstehen auch mal lustig zusammengestellte Satzfetzen, welche im Gesamtkontext mit dem Titel eine Momentaufnahme von Storys ergeben. Begriffe sind dabei sehr wichtig und diese Begriffe versuchen die Elemente der Geschichte darzustellen. Es sind daher eigentlich eher Gedichte als Texte.


Du hast dich vorhin auch sehr politisch geäußert. Diese Politik ist in deinen Texten nicht erkennbar?
Das kann auch nicht sein, weil ich kein reflektiver Mensch bin, wenn ich Songs schreibe. Das grenzt mich z.B. auch stark von Tom ab. Tom ist jemand, der beschreibt Situationen, erzählt Geschichten, wie er sie erlebt bzw. wie er sie wahrnimmt. Ich beschreibe meine Gefühle, wenn ich Geschichten erlebe. Es ist ungefähr so, als wenn ein Maler mit einem dicken Pinsel an die Wand klatscht. Es geht nur um mein Gefühl, ich analysiere nie, denn das können andere besser. Für mich ist Musik 100% Gefühl und Worte sind für mich 100% Gefühl. Entweder ich hab ein gewisses Gefühl und dieses Gefühl muß raus und eine Melodie, ein Soundteppich beschreiben das oder sie tun es nicht, dann sollte man es sein lassen. Wir haben 'ne Platte gemacht wie "Perfect Sex", da sind die Geschichten so, als wenn man sie vorlesen würde und deswegen sind sie heute für mich so wertlos. "Perfect Sex" haben wir schön aufgenommen, aber mit null Gefühl. Dann machen Texte für mich keinen Sinn, dann sollte man sie besser in einem Buch aufschreiben. Wenn Texte inhaltlich zu reflektiv werden, verlieren sie für mich die Kraft.


Wenn deine Texte so aus dir rauskommen, bleiben sie dann im fertigen Song in der Urform?
Es gibt im Studio schon so zwei, drei Runden, wo repariert oder strukturiert wird. Bei "Aerdt" sind die Texte recht durchgeschrieben. Aber ich mag schon die Songform, da gibt es so etwas wie einen Chorus, wo etwas wiederholt wird. Wo ich Texte, die etwas wichtiges ausdrücken, nochmals tune. Bei der Probe fällt einem auch schon mal 'ne bessere Line ein. Für mich ist ein Song dann fertig, wenn ich beim Hören eine Gänsehaut kriege.


Wie läuft bei euch überhaupt das Proben. Ich wohnt ja nicht mehr alle im gleichen Dorf, sondern sehr verstreut?
Aber wir proben dennoch im Dorf. Der Reini lebt da ja noch dort und hat dort Proberäume. Der Louis fliegt dann von London aus mit dem Billigflieger nach Goch und ich fahr dann immer von Berlin über Hamburg und sammel Briged ein. Tom kommt mit dem Auto aus Köln. Wir proben dann immer ein Wochenende, manchmal eine ganze Woche durch.


Was kann man vom Gig im Fall erwarten und wie sieht die zukünftige Konzertplanung aus?
Wir nehmen den Gig im Fall als ganz offiziellen Gig, wo wir sagen, wir sind wieder da. Von der Songauswahl, von der Botschaft her geht es darum, dass ist die Welt, die wir euch versprechen für die Zukunft. Wir wollen jedes Konzert zu einem einmaligen Erlebnis machen und zwar nicht künstlich mit Showeffekten, sondern rein musikalisch/gesanglich. Wir wollen mit jedem Song die Gänsehaut für uns und für das Publikum erzeugen. Deshalb wollen wir lieber weniger aber dafür intensiver spielen. Weil das wertvolle von PTB ist, das wir es immer geschafft haben, Songs zu schreiben, die ein Momentum einfangen können und eine unheimliche Intensität erzeugen.


Würdest du sagen, dass du manchmal "abwesend" bist, wenn du auf der Bühne stehst, dass du evtl. in eine andere Welt eintauchst?
Die Person ist sicherlich abwesend, der Geist nicht. Wenn ich präsent wäre, dann würde ich wahrnehmen: Ich steh jetzt auf der Bühne, davor steht ein Mikro, ich singe jetzt gerade dieses Lied und bin auf Textseite 17 und darf nicht vergessen den Akkord gleich zu wechseln. Die Abwesenheit ist eher die 100%ige Anwesenheit, was das Gefühl des Songs angeht und der Geschichte.


Als Opener spielt ihr "Your master is calling", einer deiner Lieblingssongs. Gibt es Gründe warum ihr damit eure Konzerte eröffnet?
Der Song hat einige Vorteile. Der Song hat den Vorteil, dass er recht lang ist, er ist relativ einfach (technisch und von den Akkorden her) und er hat den Vorteil, dass er schön anfängt mit Drums, Bass, Keyboard, so dass der Soundmann erst mal seine Sachen einstellen kann. Es sind also in erster Linie sehr praktische Gründe. Dazu kommt, die Leute mögen den Song, ich mag den Song, die ganze Band mag den Song. Es ist halt für Band und Publikum ein sehr schönes Stück, um warm zu werden. Und man kann vor allem emotional richtig warm werden, weil der Song Tiefe, 'ne Geschichte und einen guten Text hat.


Ihr spielt in Bochum oder beim WGT keine neuen Songs, wo liegen die Gründe?
Wir hatten es erst vor, es ist nur unheimlich gefährlich. Weil ich glaube, die Band sollte sich dafür wirklich erst das nächste halbe Jahr Zeit nehmen. Ich hab mir lange während der Reunion Phase überlegt, was ich als Fan von einer Band erwarten würde, wenn sie 10 Jahre oder länger nicht präsent war. Es gibt einige Bands, die ich sehr gerne mal wieder sehen würde, z.B. die alten Sisters oder Joy Division, letzteres ist ja leider unmöglich (Anm: ersteres wohl auch!). Wenn ich mir vorstelle, Joy Division hätte jetzt 20 Jahre ausgesetzt, was würde ich von einem Auftritt erwarten. Natürlich würde ich mich auch über neue Songs freuen, nur neue Songs fänd ich natürlich Scheiße, weil ihre alten Songs sind Teil meines Lebens geworden. Uns geht es darum, den Fans zu sagen, wir wissen schon wer wir sind, wo wir gut sind usw. Wir wollen aber neue Songs zuerst einmal aufnehmen. Das wird wieder in Laibach passieren, weil das der Ort ist, wo die besten Songs entstanden sind. Nicht nur die Besten, aber wo wir es geschafft haben, unheimlich starke Momente auch auf Platte zu bannen. Diesen Entwicklungsprozeß brauchen wir auch wieder. Wir möchten im Herbst eine Single rausbringen und Anfang nächsten Jahres ein neues Album, was wirklich reif ist, was es wirklich wert ist, auch gekauft zu werden. Wir wollen momentan nichts überstürzen. Erst hatten wir gedacht: Wär ja super cool, einen neuen Song zu spielen, wir haben neue Songs, wir haben sehr gute neue Songs, aber ich glaube nicht, dass wir diese so gut spielen können, weil sie einfach noch nicht reif sind.


Danke für die ausführliche Beantwortung meiner Fragen und alles Gute für die Zukunft.


Die Band:
Mic Jogwer: Gesang, Gitarre
Thomas Elbern: Gitarre
Brigid Anderson: Keyboards
Reini Walter: Bass
Louis Pavlou: Drums

Internet: www.pinkturnsblue.com

Diskografie:
'87: If two worlds kiss LP/CD
'88: Meta LP/CD
'88: Touch the Skies 12"/MCD
'88: Your master is calling 12"/MCD
'90: Eremite LP/CD
'91: Aerdt CD
'91: The Son MCD
'91 Seven Years MCD
'92: Sonic Dust CD
'92: Overloaded MCD
'92: Star MCD
'94: Perfect Sex CD/DCD
'94: Muzak CD
'04: Re-Union CD