Der Eulenspiegel der Jetztzeit |
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HONIGDIEB Interview mit "Sir Hannes", dem - und Sänger und Kopf von - HONIGDIEB (ludger) Sir Hannes, für viele bist du einer der Schöpfer oder sogar der Schöpfer der deutschen Punk-Szene, für andere einer der durchgeknalltesten Interpreten, den sie je gesehen haben. Wie siehst du dich? Das ist letztlich schwer zu sagen. Schließt das Eine das Andere aus? Ich habe mit 13 mein Elternhaus verlassen, das war 1976. Ich lief in Frauenkostümierung durch die Gegend und hatte eine Sicherheitsnadel durch die Wange. Das war zuviel für meine Eltern und die schickten mich zum Psychiater. 1978 gründete ich die "Idiots" und wir lebten die Band extrem exzessiv. Ich zog mir beispielsweise mehrfach Knochenbrüche bei den Konzerten zu und trotzdem spielten wir weiter. Wir haben uns nie angepasst oder wem unterworfen. Daher hatten wir es schwer. Mit den "Phantoms of Future" habe ich neun CDs gemacht, die auch in den Top 100 landeten. Im Independent-Bereich sogar in den Top 5. Wir haben Crossover gespielt, bevor die Leute überhaupt wussten, dass es Crossover gibt. Nach deiner Band "Idiots", später der Neuanfang mit "Phantoms of Future", später der Neuanfang mit "HONIGDIEB". Warum? Ungefähr vier Jahre hatte ich ja beide Bands, daher war es so kein unmittelbarer Neuanfang. Doch bei mir heißt Leben Bewegung, man ändert sich und ich lebe im Jetzt. Ich suche ständig neue Ausdrucksformen. Es braucht sicherlich Zeit und Kraft, um bei den Leuten etwas Neues zu etablieren. Und dies kann man nur, wenn man mit ganzem Herzen hinter einer Sache steht. Daher waren diese Umschwünge für mich persönlich notwendig. Wie sehr hat dich dein Leben auf der Straße beim Projekt "HONIGDIEB" geprägt? Mein ganzes Leben hat mich hierfür geprägt. Schon im Kindergarten habe ich mich für Schwächere geprügelt und eingesetzt, das ging in der Schule weiter. Wenn ich mich dann für jemanden geprügelt habe, lag ich meisten gerade oben, als der Lehrer kam und ich war der Schlimme. Ich singe hier auch bewusst wieder die deutsche Sprache. Die "Phantoms" haben gezeigt, dass englisch nicht sofort von jedermann verstanden wird, das ist mir aber wichtig. Der HONIGDIEB ist quasi der Eulenspiegel der Jetztzeit. Ich denke, die Gesellschaft braucht wieder mehr Respekt und andere wichtige Ziele und Grundeinstellungen. Diese versuche ich auf witzige, spritzige und ironische Art zu schaffen und den Leuten so den Eulenspiegel vorzuhalten. Du hast mal gesagt, dass von einhundert früheren Freunden höchstens noch fünf leben, da sich die anderen zu Tode gesoffen, gefixt oder umgebracht hätten. Wie nah warst du zu deiner schlimmsten Zeit dabei, einer der 95 zu sein? Damals, das war die No-Future-Generation. Wenn man dort viele Freunde hatte, lief man auch teilweise mit. Das ist heute anders. Ich schreibe nur noch lebensbejahende Texte. Meine Punkwurzeln habe ich immer noch, aber das ist ja auch nicht schädlich. Trotzdem kann man ja "Ja" zum Leben sagen. Ich habe sehr viel hinter mir, was den Konsum von Drogen in jeglicher Art angeht. Ich war Alkoholiker, bin wiederbelebt worden. Ich habe seit vielen Jahren einen sehr, sehr guten Schutzengel, sonst würde ich hier heute nicht mehr sitzen. Aber jetzt hat es in meinem Kopf klick gemacht. Das ist das Wichtigste. Ich kann mich wieder hinsetzen und am Abend mal ein Bier trinken. Das ist dann gut so. Ich weiß, dass ich nicht über die Stränge schlagen darf und das tue ich nicht. Irgendwann hat man kapiert, wie weit man gehen kann. Ab Herbst gibt es "Verkehrt", euer neues Album. Was wird anders? Ich ziehe meinen Weg konsequent weiter, HONIGDIEB ist Musik ohne Grenzen. Wir vermischen auch weiter viele Stilrichtungen. Es bleibt also alles anders. Deine Punk-Ursprünge sind unüberhör- und sehbar. Welche Botschaft hast du heute noch an das Volk? Die Menschen sollten aufhören, ihr Roboterleben zu leben und Körper, Seele und Verstand zueinander führen und in Einklang bringen. Dein Plattenladen galt lange Zeit nicht nur als guter Plattenladen, sondern gleichzeitig als soziale Anlaufstelle. Ist das heute auch noch so? Ja, das ist noch so. Ich gebe auch heute den Leuten noch Tipps für alle Situationen des Lebens, oder für ihre Musik, die sie machen, oder, oder, oder. Viele kommen natürlich auch gerne und fragen mich, weil sie wissen, dass ich eine gewisse Erfahrung mitbringe und mich auch nicht scheue, diese weiterzugeben. Wer kommt zu dir, um Platten zu kaufen? Musikinteressierte, oder auch Leute, die mal eine Platte im Laden von "Sir Hannes" ergattert haben wollen? Das ist eine Kombination aus allem und nicht so steril. Die Leute kommen und wissen, da verkauft jemand Musik, der Musik selbst lebt. Der empfiehlt, der hat Ahnung. Ich habe dort beispielsweise von keiner Platte so viele verkauft, wie vom HONIGDIEB. Das haben wir immerhin erreicht mit HONIGDIEB. Teilweise kommen Kinder, acht, neun, die finden das toll, weil sie auch schon erkennen, das ist ehrliche Musik, gutes Handwerk und nicht so steriler Pop der Marke Mickey-Mouse. Klar, im Laden gibt es Musik, aber auch Kaffee und Bier umsonst. Da bleiben die Leute auch mal vier, fünf Stunden. Das ist auch okay so, ist der Laden doch sowieso mein zweites Wohnzimmer. Man könnte es schon fast als soziokulturelle Kontaktbörse bezeichnen. Wie kamest du auf den Namen HONIGDIEB und was bedeutet er für dich? Der HONIGDIEB ist auch ein südafrikanischer Vogel, der die Dachse durch seinen Gesang betört. Die gehen zum Bienenstock, plündern den und für den HONIGDIEB bleibt etwas übrig. So sehe ich mich in der Musik auch. Mich freut es, wenn die Leute begeistert sind. Mich freut es genauso, wenn sie auch etwas mitnehmen können. Als alten Punk muss ich dich das Fragen: Welche politische Grundausrichtung hast du heute, oder hast du der Politik, wie manch anderer auch, den Rücken gekehrt? Das ist ein schwieriges Thema. Bei uns ist alles riesig bürokratisiert und medienzensiert. Was wirklich ist und war und passiert, erfahren wir nicht. Davon bin ich überzeugt. Es gibt in diesem Land keine Partei, die meine Meinung vertritt. Du standest mit Sex Pistols, Iggy Pop und anderen Größen auf der Bühne. "HONIGDIEB" ist eher zwei Hausnummern kleiner. Ein sozialmusikalischer Abstieg oder die Verwirklichung des eigenen Ichs? So ist das nicht ganz richtig. Wir waren zum Beispiel vor kurzem noch mit New Model Army auf Tour, zwei Mal mit Chumbawamba. Diese haben uns persönlich eingeladen. Und es ist auch schön zu hören, wenn von diesen gesagt wird: "HONIGDIEB? Eine unglaubliche Erfahrung." Iggy Pop, Sex Pistols, The Stranglers waren meine damaligen Idole. Als ich 13 war, habe ich zu meinen Freunden gesagt: "Ich will mit all meinen Idolen spielen". Das habe ich geschafft und die sind schon fasziniert von der Art und Weise, wie wir Musik machen. |