Barney steht Rede und Antwort zu 30 Jahren Napalm Death, den musikalischen Änderungen und dem Grund weshalb er damals kurz ausgestiegen war. Zusätzlich räumt er mit einem großen Misserständniss auf, dass in dem Szenebuch "Choosing Death" aufkam. Vor dem Auftritt im Kölner Underground hat er sich eine halbe Stunde Zeit genommen, um aus dem Nähkästchen zu plaudern. www.myspace.com/napalmdeath (hendrik)
Danke, dass du Zeit hast, mit uns dieses Interview zu führen. Nächstes Jahr feiert NAPALM DEATH seinen 30. Geburtstag und 30 Jahre NAPALM DEATH sind dasselbe, wie 30 Jahre Grindcore. Was bedeutet es für dich in der Band zu spielen, die Grindcore vor 30 Jahren offiziell erfunden hat. |
Es ist natürlich großartig, aber ich denke nicht viel darüber nach. Ich nehme jeden Tag wie er ist und bin immer ganz aufgeregt. NAPALM DEATH hat eine große Kraft, die Eigenschaften der Musik selbst geben viel Kraft. Es ist wirklich großartig und ich fasse es manchmal noch gar nicht, dass es schon 30 Jahre sind. Es ist aber halt nichts, über das ich die ganze Zeit nachdenke, es ist eben so.
Was bedeutet Grindcore dir persönlich? |
Als erstes muss man dazu wohl sagen, dass das Wort Grindcore vom vorherigen NAPALM DEATH-Schlagzeuger Mick erfunden wurde. Und er beschrieb damit Musik, die einerseits extrem schnell und chaotisch sein konnte, auf der anderen Seite aber auch extrem langsam. Es beschreibt also eigentlich alles vom schnellstens Hardcore, den du dir vorstellen kannst, Sachen wie Repulsion oder auch Musik von Swans oder My Bloody Valentine.
Eigentlich hat es eine große Definitionsbreite, aber die Medien wurden darauf aufmerksam und es wurde somit das Wort für Bands, die wirklich schnell gespielt haben.
Für mich... ich weiß gar nicht genau, was es noch für mich bedeutet, glaube ich. Weil schneller Hardcore ist für mich schneller Hardcore und schneller Metal ist halt schneller Metal. Es ist halt auch so wie bei der ersten Frage, ich denke nicht soviel darüber nach.
Wie hat sich Grindcore in den letzten 30 Jahren deiner Meinung nach verändert? |
Du musst das so sehen, als NAPALM DEATH damit anfing, selbst ein paar Jahre später, als ich dann dazukam, gab es nicht viele Bands, die Musik in dieser Richtung gemacht haben. Es hat sich in viele verschiedene Richtungen verändert. Und so sollte es auch sein, die Sachen sollten sich für sich selbst entwickeln. Deswegen kann ich dir jetzt auch keine genaue Antwort geben, da sich soviel geändert hat. Es gibt halt Sachen, die mir gefallen und Sachen, die mir eben nicht gefallen. So wie es bei jeder Person ist. Für viele Leute ist NAPALM DEATH so was wie eine Band mit Autorität, weil wir von Anfang an dabei waren. Viele meinen irgendwie, wir wären die philosophische Judikative der Szene, aber dass wollen wir gar nicht. Jeder soll das hören, was ihm gefällt, und wir machen halt, was uns Spaß macht.
Eine Frage zu der musikalischen Entwicklung von NAPALM DEATH. Nach "From Enslavement To Obliteration" kam ein geplante Veränderung zu mehr Death Metal Einflüssen. (Da unterbricht Barney mich dann freundlich, obwohl meine Fragestellung noch gar nicht fertig war!) |
Nein, nicht wirklich, das ist ein Missverständnis. Was wirklich geschehen ist, war, dass wir ins Morrisound Studio nach Florida gegangen sind, welches zu der Zeit bekannt dafür war, dass die ganzen Death Metal Bands dort aufgenommen haben. Eigentlich war es unsere Plattenfirma, die uns gedrängt hat, in dieses Studio zu gehen und wir haben uns gedacht: "1 Monat in Florida klingt doch echt super, okay, machen wir!". Wir wollten dorthin und die gute Technik vor Ort nutzen, aber unseren eigenen Sound haben, der dicke Sound, den wir zu der Zeit hatten. Leider haben wir den nie bekommen. Wir bekamen das, was das Studio für den besten Sound für NAPALM DEATH hielt. Scott Burns, der das Album gemacht hat, tat das, was er für richtig hielt. Ich kann auch nichts Negatives sagen. Die Leute meinten halt, als das Album mit diesem Sound herauskam: Oh, NAPALM DEATH macht jetzt Death Metal.
Das war es aber nicht, hör es dir an. Da steckt eine ganze Menge Punk mit drin und auch Hardcoreeinflüsse. Aber die Leute haben nur das Eine gesehen und wollten auch nichts anderes sehen. Beim nächsten Album, "Utopia Banished", haben wir dann ein anderes Studio genommen, das diesen dicken Sound hatte, den wir wollten. Und die Musik war vom Prinzip dieselbe, aber die Leute sagten dann, es wäre ein Grindcorealbum. Siehst du, da kannst du nichts machen. Die Leute haben da ein riesiges Thema von gemacht: NAPALM DEATH macht Death Metal, bla, bla, bla. Wenn du solange in einer Band spielst, dann machst du dir da keine Gedanken mehr darüber, du tust halt was du kannst.
Ich habe darüber in "Choosing Death" gelesen. Und dort stand, dass es eine bewusste Entscheidung war, mehr Death Metal mit in die Musik von NAPALM DEATH aufzunehmen. |
Nein, so war es wirklich nicht. Wenn du dir zum Beispiel das Album "Scum" anhörst, von dem alle Leute sagen, es wäre purer Hardcore/Grindcore, aber das war es gar nicht. Wenn du es dir genau anhörst, kannst du eine Menge Celtic Frost-Zeug heraushören. Viele der Riffs auf "Scum" sind Celtic Frost. Wir haben bloß nie etwas darüber gesagt.
Albert, der das Buch geschrieben hat, ist ein Freund von mir und ich habe ihn darauf angesprochen. Er kann natürlich schreiben was er will, aber dazu habe ich ihm gesagt, dass es nicht nötig gewesen wäre, diese Aussage zu machen. Aber im Endeffekt ist es ja auch egal. Es gibt immer Leute, die NAPALM DEATH als eine einfache Death Metal Band sehen. Meiner Ansicht nach trifft es aber einfach die Definition nicht, das wäre viel zu begrenzt. Wenn du dir die Alben über die ganzen Jahre anhörst, ist natürlich Death Metal mit drin. Aber natürlich haben wir auch Hardcore- und Punkeinflüsse und sogar Alternative-Einflüsse wie Swans oder My Bloody Valentine. Das ist alles mit drin und das kann man auch hören. (Jetzt konnte ich dann meine eigentliche Frage erst zu Ende bringen)
Dann kamen aber noch musikalische Änderungen mit "Mentally Murdered", ein weiterer mit "Fear, Emptiness, Despair" und noch mal bei "Order Of The Leech". Waren die geplant oder hat sich die Musik selbstständig weiterentwickelt? |
Natürlich sind Veränderungen bei den Alben die du genannt hast, ich dachte wir sprechen nur über "Harmony Corruption".
Es war eine Kombination. Einerseits war es eine natürliche Entwicklung, andererseits musst du verstehen, dass es bei "Fear, Emptiness, Despair" vielen Diskussionen gab. Nicht außerhalb, sondern innerhalb der Band. Ich persönlich habe gedacht: "Oh, was passiert denn hier? Das geht mir ein bisschen zu weit". Aber die anderen Jungs wollten es genau in die Richtung haben. Deswegen gab es auch große Diskussionen zu der Zeit. Aber im Rückblick schätze ich die Alben aus der Zeit, wie z.B. "Fear, Emptiness, Despair", "Words From The Exit Wound" und "Diatribes". Ich schätze sie jetzt viel mehr als zur damaligen Zeit. Ich erkenne jetzt, dass es halt eine andere Seite von NAPALM DEATH ist. Man muss ja auch bedenken, dass zu der Zeit eine Menge Bands schnell gespielt haben, deswegen haben diese Alben jetzt nicht mehr denselben Effekt wie damals. Egal wie extrem einige Sachen musikalisch sind, die Bands machen, hat es jetzt natürlich nicht mehr diesen frischen Charakter oder den Effekt, den sie zu der Zeit hatten. Ich habe erkannt, was die Jungs zu der Zeit machen wollten und habe gedacht: "Ok, probieren wir halt mal was anderes!"
Das Interessante daran ist aber, dass diese Alben, glaube ich zumindest, einen Einfluss auf eine Szene hatten, die danach erst entstand. Die Noise Metal Schiene mit Bands wie "The Dillinger Escape Plan" und so. Ich glaube, dass einige dieser Alben wirklich einen Einfluss auf diese Szene hatten.
Wie läuft das Songwriting bei euch ab? Habt ihr einen festen Ablauf oder kommen die Dinge wie sie kommen? |
Mitch und Shane schreiben beide, jeder für sich, so viele Songs. Und dann stellen sie uns die Sachen vor. Meistens nehme ich die Sachen dann mit und setze mich an die Texte. Manchmal setzen wir uns auch zusammen und beschließen, dass einige Sachen anders gemacht werden sollten, aber das kommt eher selten vor, weil die Sachen meistens schon gut sind, so wie sie sind. Manchmal sind wir sogar noch richtig positiv überrascht und fragen denjenigen dann, wie zum Teufel er auf so etwas gekommen ist. Der Vorteil ist auch, dass die beiden wirklich eigenständige Sachen schreiben, so brauchen wir sie nicht zurückschicken und ihnen sagen, dass sie das noch mal überarbeiten sollen. Wie gesagt, meistens sind die Sachen sofort wirklich gut und ich nehme sie dann mit und schreibe die Texte. Ich schließe dann die Tür ab, ziehe dann das Telefonkabel und schotte mich total ab. Ich brauche diese Isolation, um nicht abgelenkt zu werden. Das ist die Art wie wir die Musik schreiben und zum Schluss kommt dann alles zusammen.
Ist es nach so vielen Jahren und verschiedenen Bands und Projekten, in denen jeder gespielt hat, immer noch leicht, Musik zu schreiben? |
Doch, auf jeden Fall. Wenn wir ein neues Album schreiben, kommt am Anfang alles immer relativ schnell und wird dann mit der Zeit langsamer. Frag mich nicht warum, aber das war bis jetzt immer so. Am Anfang schreibe ich manchmal 2 Texte pro Tag und sie sind großartig, wirklich. Je weiter man mit dem Album kommt, dauert es dann länger. Zum Schluss brauche ich dann manchmal mehr als 5 Tage für einen Text. An einem Tag eine Strophe, am nächsten einen Refrain. 5 Tage später schaue ich mir das Ganze dann an und schmeiße es manchmal direkt wieder in den Müll, weil es mir nicht gefällt. Aber wie gesagt, am Ende kommt dann alles zusammen und passt.
Kommt man nicht gerade bei den Texten irgendwann an einen Punkt, an dem man sich wiederholt? |
Ja, man wiederholt sich schon manchmal. Aber dann liegt es daran, dass man die Dinge dann aus einem anderen Blickwinkel sieht. Man schreibt die Texte dann anders. Wir haben mehrere Songs, bei denen es um dieselben Themen oder Probleme geht, das wiederholt sich schon 2 oder 3 Mal, aber man hat dann einen anderen Weg gefunden sich auszudrücken. Texte schreiben heißt ja nicht einfach, Wörter auf Papier zu bringen. Man kann natürlich auch Ironie und andere Sachen mit einfließen lassen. Ein Mann, der das sehr gut gemacht hat, ist Jello Biafra. Er ist definitiv einer der besten Texter, keine Frage. Wie er seine Sprache und die Ironie benutzt, ist wirklich gut gemacht. Das kann man kreatives Schreiben nennen und das macht dann auch den Unterschied zwischen Texten, an die man sich erinnert und Texten, die nicht viel bedeuten.
Welche Erfahrung mit NAPALM DEATH hat dich am meisten bewegt? |
NAPALM DEATH war schon an vielen Orten, wo andere Bands nicht hingehen, weil sie vor diesen Orten z.B. Angst hatten, und das ist kein Scherz. Wir waren z.B. die erste Band, die selbstständig in die UDSSR gereist ist. Das war zwar am Ende der UDSSR, aber sie war es noch. Wir waren in Russland, als es noch das sowjetische Russland war. Das einzige, was sonst so dort stattfand, war das "Moskau Peace Festival", oder so ähnlich, mit Bon Jovi und solcher Musik. Und wir waren halt im Jahr darauf da, aber haben das selbst organisiert und es war wirklich unglaublich, das werden wir nie vergessen. Und wir waren auch die erste Band, die in Südafrika gespielt hat, nach der Apartheid. Es war ungefähr ein Jahr nachdem Nelson Mandela freigelassen wurde. Wir wollten vorher nicht, weil wir nicht mit dem ganzen Regime der Apartheid in Kontakt kommen wollten. Die Leute von Nelson Mandela haben unsere Promoter dann beraten, z.B. bezüglich Orte, an die wir gehen können und solche, die wir lieber meiden sollten. So was ist wirklich großartig.
Und was war die schwierigste Phase in der ganzen NAPALM DEATH -Zeit? |
Das war so Mitte bis Ende der 90er. Da gab es viele Diskussionen in der Band bezüglich der musikalischen Ausrichtung. Aber nicht nur das. Ehrlich gesagt, war die Organisation zu der Zeit auch echt beschissen. Zu der Zeit gab es wirklich viele Spannungen innerhalb der Band. Ich bin ja sogar für eine kurze Zeit aus der Band ausgestiegen. Ok, es waren nur ein paar Monate, aber zu der Zeit war ich echt froh darüber, weil es teilweise echt beschissen war. Das war wohl die schwerste Zeit, würde ich sagen. Aber heutzutage ist zum Glück alles super!
Auf "Smear Campaign" und "The Code Is Red..." hattet ihr Gastsänger! Wonach sucht ihr diese aus...
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Oh, das ist eine wirklich gute Frage!
...und gibt es noch bestimmte Leute, mit denen ihr gerne zusammen arbeiten würdet? |
Mit Jello Biafra zusammen zu arbeiten war natürlich fantastisch. Aber um darauf zurück zu kommen wie wir die Sänger aussuchen. Manche Bands, die Gastsänger auf ihren Alben haben, machen es, glaube ich, nur um sich mit deren Namen zu schmücken. Darum geht es uns überhaupt nicht. Wir machen das nur, wenn wir meinen, dass der Song es braucht, du kannst einen Song damit nämlich auch ganz schön beeinträchtigen. Deswegen habe ich immer nach Sängern gesucht, die auch zum Kontext des Stückes passen. Und genau deswegen hatten wir auf dem letzten Album auch gar keinen Gastsänger. Weil wir der Meinung waren, dass die Songs genau so richtig waren, wie sie sind. Bei "The Great And The Good" passte Jello einfach hundertprozentig hinein. Und der Song, den wir mit Jamey von Hatebreed gemacht haben, passte einfach genau zu seiner Stimme. Und dann hatten wir ja auch noch Anneke van Giesbergen von The Gathering. Wir hatten einen Song, der in die Ambientecke ging und dazu passte ihre Stimme einfach. Es muss halt immer alles in den Kontext des Songs passen. Es bringt nichts, wenn man sagt, dass man den Sänger von der Band braucht. Oder vielleicht sogar mit einem Dartpfeil den Zufall entscheiden lässt, weil man sich nicht entschließen kann. Man sollte schon etwas kreativer darüber nachdenken, finde ich.
Bei meinen letzten NAPALM DEATH Konzerten habe ich immer Songs aus der Zeit zwischen 1992 and 2000 vermisst. Vor diesem Konzert habe ich dann auf eurer Myspaceseite gelesen, dass ihr jetzt mehr Songs aus genau der Zeit wieder live spielen wollt. |
Ja, wir wollen jetzt mehr Songs spielen, die wir teilweise schon seit Ewigkeiten nicht mehr gezockt haben. Das ist genau die Zeit, über die wir vorhin schon gesprochen haben.
Habt ihr Pläne für so etwas wie Geburtstagsshows? |
Nein, darüber haben wir uns noch gar keine Gedanken gemacht. Wir sind auch nicht gefragt worden und ich glaube, dass wir die letzten sind, die sich darüber Gedanken machen. Aber irgendetwas wird wohl passieren und ich hoffe das passt dann auch. Manchmal gibt es ja diese Jubiläumshows, wo alle sich denken, was der Scheiß soll.
Aber bei euch sind es 30 Jahre. |
Ja, ich weiß. Und das ist definitiv ein Meilenstein, aber einige Bands haben sich damit auch keinen Gefallen getan, solche Shows zu machen. Man kann was machen, woran sich die Leute lange erinnern werden, oder es wird irgendetwas Peinliches. Also, wir werden mal sehen. Es muss halt zu uns passen und irgendwie aus sich selbst entstehen.
Ich habe nur darüber nachgedacht, weil wir vor 2 Tagen auf einem Konzert von Cathedral waren. |
Das wäre natürlich eine gute Idee, die ganzen Bands zusammen zu trommeln, die mit NAPALM DEATH verbunden sind. Das wäre definitiv ein gute Sache. Godflesh, Cathedral und vielleicht sogar Scorn mit Mickey oder eine seiner anderen Bands oder Projekte. Und dann alles zusammen auf eine Bühne! Warum nicht? Aber das würde natürlich schwierig werden, alle Bands zusammen zu bekommen. Vielleicht sollten wir es nur mit den Leuten machen.
Die letzten Worte gehören dir. |
Vielen Danke für eure Unterstützung. Seitdem ich bei NAPALM DEATH bin, haben wir viele andere Bands kommen und gehen sehen. Aber NAPALM DEATH sind immer noch da, weil die Leute immer noch kommen, um uns zu sehen. Selbst wenn es den Leuten nicht so gut geht, kommen mehr, um uns zu sehen. Wir können uns echt nicht beschweren, DANKE!
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