PARADISE LOST :: Gothic-Metal-Legende |
München, Backstage, 27.09.2007 Wenn in München der kulturelle Supergau namens Oktoberfest Angst und Schrecken verbreitet, ist man als normalsterblicher Zeitgenosse ganz besonders dankbar dafür, dass es Schutzräume gibt, die ein anspruchsvolles Kunsterlebnis jenseits ästhetischer Dekadenz garantieren. An diesem Abend präsentierte sich die für 500 Schutzbedürftige ausgelegte Halle des Backstage als außergewöhnlich attraktiver Zufluchtsort. Schließlich sollte sich dort die Gothic-Metal-Legende Paradise Lost um das seelische Wohlbefinden derjenigen kümmern, die sich nicht fahrlässig der dummdreisten Bedrohung des vermutlich schauerlichsten Volksfestes der Welt aussetzen wollten. Angesichts dieser prekären bis hoffnungsfrohen Gegebenheiten überraschte es nicht, dass die Halle bereits in den frühen Abendstunden randvoll gefüllt war. Als ich mich endlich in die Schutzzone des Backstage gezwängt hatte, dauerte es nur wenige Minuten bis die Vorgruppe Eyes of Eden loslegte. Die sympathisch wirkende Band aus Dortmund, die es laut Aussage der Sängerin erst seit einem Jahr gibt, absolvierte einen in jeder Hinsicht gelungenen Auftritt. Dabei bot das Quartett (zwei Frauen, zwei Männer) vor allem schleppende und melodische Rockklänge, die nur dezent von der Wucht und Härte des Heavy Metals gestreift wurden. Zudem zeichnete sich der bezaubernde Klangkosmos durch die engelsgleiche Stimme der Sängerin aus. So war es nur verständlich, dass Eyes of Eden bei ihrem Abgang von einem Großteil des Publikums mit freundlichem Applaus bedacht wurden. Kurz nach 22 Uhr sollte es endlich soweit sein: Ganz ohne Pathos schlenderten Paradise Lost zu den Klängen von "The Enemy" auf die Bühne, um den Schutzbefohlenen der Trutzburg in schwerer Zeit beizustehen. Der Auftaktsong wurde von Nick Holmes und seinen Mitstreitern lässig und dennoch kraftvoll inszeniert. Gleiches lässt sich auch für das Folgestück "Gothic" festhalten, das im Gegensatz zum Startsong für die Frühphase der Band steht. Dass die Band im weiteren Verlauf des Abends diesen unaufgeregten und selbstbewussten Präsentationsstil fortführte, kann eigentlich kaum verwundern. Schließlich hat man es hier mit einer Gruppe zu tun, die aus einem schier unerschöpflichen Arsenal grandioser Rocksongs schöpfen kann. Und genau dies taten Paradise Lost an diesem Abend überaus gekonnt. Dementsprechend berücksichtigten die Gothic-Metal-Pioniere bei der Liedauswahl mit durchdachter Ausgewogenheit die verschiedenen Geschichts-, Stil- und Härteepochen ihres Gesamtwerks. Im Einzelnen wurde man beispielsweise mit Perlen wie "So Much Is Lost", "As I Die" oder "Enchantment" verwöhnt. Angesichts dieses abwechslungsreichen Hochgenusses war es schon ziemlich bitter, als die Band nach nur einer Stunde Spielzeit unter den nachhallenden Klängen von "One Second" die Bühne verließ. Die umjubelte Schutztruppe höchster Klangkunst kehrte aber selbstverständlich auf die Bühne zurück, um eine rund 20 Minuten dauernde Zugabe zu spielen, die es in sich haben sollte. Gestartet wurde mit dem schroffen bis wuchtigen "Never For The Damned", dem Opener ihres aktuellen Albums "In Requiem". Unter anderem folgte dann der geradlinig und verführerisch rockende Powersong "Erased". Für mich wurde schließlich mit dem doomigen "Over The Madness" der Höhepunkt des Abends eingeläutet. Gibt es in der Geschichte der Rockmusik einen Song, der mit einem phantastischeren Gitarrensolo verzaubert!? Als endgültiger Abschluss wurde schließlich in Gestalt von "Say Just Words" eine Komposition präsentiert, die vermutlich die besondere Stärke von Paradise Lost am deutlichsten veranschaulicht. In der Tat kann die geschmeidige Eleganz, mit der in diesem Song treibende Härte und Melodik eine Verbindung eingehen, nur als genial bezeichnet werden. Dass keine zweite Zugabe und somit eine reine Spielzeit von nur einer Stunde und 20 Minuten geboten wurde, lässt sich wohl als einziger Kritikpunkt eines ansonsten rundum perfekten Konzerts vermerken. Denn natürlich wäre man auch noch gerne durch Klassiker wie "Forever Failure" oder "True Belief" gegen die Mächte des kulturellen Wahnsinns, die in München wieder einmal besonders hemmungslos ihr schändliches Werk verrichten, immunisiert worden. Andererseits konnten sich Paradise Lost nach ihrer eindrucksvollen Vorstellung sicher sein, dass jedem Besucher eine ausreichende Dosis spiritueller Widerstandskraft gegen die Macht der volkstümlichen Heimsuchung zuteil wurde. Und so sah ich zufrieden, wie sich Heerscharen gestärkter und hoffnungsfroher Menschen nach draußen in die gar nicht mehr so bedrohliche Nacht begaben. www.paradiselost.co.uk (stefan) |