MOTÖRHEAD + DER W + STONE BLACK CHERRY :: Motör-Hattrick
AWD-Hall in Hannover am 02.12.2009
(Fotos by Chris)

Nach 34 Jahren MOTÖRHEAD-Liveabstinenz (unbeabsichtigt, wohlgemerkt) wird 2009 unser MOTÖRHEAD-Jahr schlechthin. Nach dem DEVILSIDE-Festival und dem grandiosen WITH FULL FORCE mache ich heute den MOTÖR-Hattrick, denn Lemmy, Mickey und Phil haben sich vorgenommen, die AWD-Hall heute in Schutt und Asche zu legen. Irgendwie freue ich mich ganz besonders auf das Konzert heute, denn schließlich habe ich MOTÖRHEAD in der Halle noch nie gesehen und vor dem "Großen Alten" des Rock'n'Rolls muss man einfach den größtmöglichen Respekt haben, denn er hat erlebt, wie der Rock'n'Roll geboren wurde! Ich mache zwar nicht gerne Werbung für andere Magazine, aber zieht euch mal das Special im aktuellen ROCK HARD-Magazin oder die Biographie "White Line Fever" rein!

Als Anheizer ist DER W mit von der Partie, mit dem ich heute ebenfalls mein Triple-W feiere, nachdem er mich bereits auf dem WITH FULL FORCE und WACKEN ROCKS begeistert hat und ich mich ruhigen Gewissens als W-Fan bezeichnen darf. Im Vorfeld bin ich wirklich gespannt, wie viel von der Festival-Deko er mit in die AWD-Hall reinpacken kann, denn gerade die Lichtshow war auf den Festivals hervorragend. DER W aka Stephan Weidner ist übrigens als Ersatz für THIN LIZZY eingesprungen, aber mich persönlich befriedigt die Erwartung eines weiteren DER W-Gigs sehr.

Der frühe Beginn um 19 Uhr verlangt einigen logistischen Aufwand, damit wir auch pünktlich in der Halle sein können, aber letztendlich haben wir haben es geschafft. An der Halle angekommen, stellen wir fest, dass die Bühne an der Längsseite vor der einen Tribüne aufgebaut wurde, bisher kannte ich nur die Variante, dass die Bühne an einer Stirnseite steht, was auf den ersten Blick befremdlich und wenig vorteilhaft erscheint, da sich die Menge über die gesamte Breite der Halle verteilt. Vorteil ist aber, dass die Gäste auf der gegenüberliegenden Tribüne einen prima Blick haben und relativ nah am Geschehen sind. Die Menge ist zu Anfang noch überschaubar, aber im Laufe des Abends füllen sich sowohl die Ränge, als auch der Zuschauerraum ganz beträchtlich und es sind gute 4000 Fans, die den alten Legenden ihren Tribut zollen wollen.

Neu für mich ist das generalstabsmäßig geplante Überleiten in den Fotograben, denn der Pressevertreter mit Fotopass muss sich ca. 10 Minuten vor dem jeweiligen Auftrittsbeginn in einem Pressezimmer sammeln und wird dann von dem sympathischen Karsten Seiffert von Hannover Concerts quer durch das Gebäude zum Fotograben geleitet. Das setzt mich zwar unter zeitlichen Druck und ich gucke ständig auf die Uhr, um den Abflug nicht zu verpassen, aber immerhin hat man die Möglichkeit bei einem Konzert der Superlative gute Fotos zu schießen.




Als Opener agieren zuerst BLACK STONE CHERRY aus Kentucky, die vorerst mit etwas weniger Zuschauern vorlieb müssen, ihre Sache aber überraschend gut erledigen. Habe ich einen LYNYRD SKYNYRD-Rock vermutet, aber live kracht der Südstaaten-Sound dermaßen wuchtig und kraftvoll aus den Boxen, dass auch der Vergleich zu DOWN nicht allzu weit hergeholt ist. Sänger und Gitarrist Chris Robertson, der ein wenig wie Jack Blacks jüngerer Bruder aussieht, hat eine gute Stimme und imposante Erscheinung, Blickfang ist aber sicherlich Gitarrist Ben Wells, dem ein ganzer Bienenstock in der Hose zu stecken scheint. Er tanzt, springt, bangt rifft und post, dass es eine wahre Pracht ist und Drummer John Fred Young verdrischt die Felle wirklich mit Leib und Seele. Der Bassist Jon Jawhon bleibt bewegungs-technisch eher blass, spielerisch sorgt er mit seinen satten Bassläufen aber für einen monstermäßigen Groove. Schön anzusehen ist auch die Aktion, als bei "Voodoo Chile" alle drei ihre Gitarren und den Bass HENDRIX-like hinter dem Kopf spielen. Nach 30 Minuten sind die Songs gespielt und BLACK STONE CHERRY sind wahrhaftig ein geiler Opener.




DER W beginnt dann etwas früher als gedacht, aber zum Glück ist der Fototross bereits am Graben angekommen. Die anfänglichen Bedenken, ob DER W ins Schema passt, sind zerstreut, als beim Intro die Halle "Wir woll'n den Meister seh'n" skandiert und die Band um Stephan Weidner die Bühne betritt. Und wieder bin ich von der ersten Note an begeistert! Viel rockiger und ohne elektronischen Ballast kommen die Songs gradliniger aus den Boxen heraus, als auf CD und treffen voll auf die Zwölf. Klar, der Pathos, mit dem Stephan spielt ist vorhanden, aber DER W wäre nicht DER W, wenn es anders wäre.
Auch einiges von der tollen Lichtshow hat er im Gepäck, auch wenn es "nur" 2 Mal 8 Leuchtröhren (oder wie man die Dinger auch immer nennen möchte) sind, die geile Effekte zaubern. Als Überraschung (für mich) greift er auch verstärkt zu Gitarre (jawoll, kein Bass) und bietet ein ungewohnt gewohntes Bild, konnte man doch Posen aus den alten ONKELZ-Tagen wiedererkennen, aber bei den letzten Shows, auf denen ich ihn gesehen hatte, spielte er kein Instrument.
"Der W zwo drei", "Mein bester Feind", "Waffen und Neurosen", "Stille Tage im Klischee", "Und wer hasst dich", "Bitte töte mich", "Geschichtenhasser" und die beste Fußball-Hymne wo gibt "Gewinnen kann jeder" werden gerockt und gebührend abgefeiert und Hannover gibt sich keine Blöße, den "Meister" erkennen zu lassen, dass wir ihn durchaus zu schätzen wissen. Die deutschen Texte des Herrn W. sind jenseits der laberigen ICH&ICH-Kacke, dem SILBERMOND-Gammel und der WIR SIND HELDEN-Pseudointellekt, sondern offen, direkt und (soweit man das als Außenstehender beurteilen kann) ehrlich. Die Radionation sollte dem W mal ein Ohr leihen und die Verspieltheit und reduzierte Härte der CD "Höher, schneller, Weidner" würde das Unterfangen sicherlich unterstützen.
Nach dem Rausschmeißer "Pass gut auf dich auf", wieder mit der obligatorischen Bandvorstellung und Solospots, der Live ein ganz anderer (und besserer) Song, als auf CD ist, ist Feierabend und die zahlreichen Fans honorieren den Auftritt mit viel Applaus. Großartig.




Das war schon mal ein würdiges Rahmenprogramm, und die Menge, die sich mittlerweile fast vollständig versammelt hat und von oben ein wahrlich imposantes Bild abliefert, wartet nun auf den Paten des Rock, den Hohepriester des Rolls, den einzig wahren Vertreter des Rock'n'Roll-Gottes auf Erden: Lemmy. Aber trotz des in den letzten Jahren verstärkt einsetzenden Personenkultes um Lemmy darf man nicht verdrängen, dass er nicht allein auf der Bühne steht, sondern mit Phil Campbell (g) und Mickey Dee (d) eines der besten Rock'n'Roll-Teams an seiner Seite hat.
Das Intro vergeht, die Bande steht plötzlich und sehnsüchtig erwartet auf den Brettern und wie bereits im Sommer geht der Rock'n'Roll-Zug mit "Iron Fist" auf volle Fahrt. Nach den nächsten Songs "Stay clean" und dem grandios rockigen "Be my Baby" verlassen wir den Graben leider schon und "Rock out" geht bei mir ein bisschen unter, denn ich mache mich auf den Weg zu meiner Kathi, die mir einen guten Platz freigehalten hat. Im Anschluss an "Metropolis", "Over the Top", "One Night Stand" und "I got mine" gibt sich der ansonsten lässig herumtänzelnde und aufgrund seiner Coolness mit Keith Richards konkurrierende Phli Campbell ganz seinem Solo hin, welches mir heute noch besser, als bei den Festival-Shows, im Ohr bleibt. Sonst kann man fast nichts Außergewöhnliches über Phil berichten, außer dass er natürlich wieder die "loudest crowd in the world" sucht und auf manchen Bildern durchaus wie Harald Juhnke aussieht.
"The Thousand Names of God", das heute zum zweiten Mal gespielte "Cradle to the Grave" (das erste Mal war am Vorabend in Köln) werden runtergerockt, bis Mickey Dee bei "In the Name of Tragedy" seinen Solospot bekommt. Es ist schon beeindruckend und zu keiner Sekunde langweilig, was er mit zwei Armen und Beinen so anstellen kann. Das ist mal ein gutes Schlagzeug-Solo und das ist ja bekanntlich doch schon eine große Kunst. Eine Kunst ist es auch bei "Just 'cos you got the Power" mit einem Arm zu trommeln und mit der anderen die Nippeltränke hochzuhalten, damit er mal ein bisschen Flüssigkeit zu sich nehmen kann (und ich meine einen normalen Beat, für den die meisten Menschen normalerweise zwei Arme brauchen!). Warum er allerdings bei der schwedischen Variante von "Ich bin ein Star! Holt mich hier raus" mitmachen musste, wird heute Abend leider nicht geklärt.
"Shoot 'em down" führt uns direkt zu "Going to Brazil" einem meiner Lieblingstracks. Überhaupt kann ich die 1991er Scheibe "1916" ruhigen Gewissens als eine meiner Lieblingsscheiben bezeichnen, war es eine der ersten selbstgekauften MOTÖRHEAD-CDs meines Lebens und ein so unglaublich gutes Album, dass dieses Album mich sicherlich geprägt hat, wie kein anderes. "Früher" gab es noch keinen Overkill an Möglichkeiten, Neues von seinen Lieblingsbands zu hören, sondern, wenn das Taschengeld gespart wurde, konnte man sich wieder mal eine CD oder Schallplatte kaufen und sich wochenlang damit beschäftigen. Daraus resultiert auch die Tatsache, dass die Lieblingsscheiben meiner Generation meisten noch aus den Zeiten stammen, in denen man sich eben monatelang mit einem Album beschäftigt hat. Heutzutage kann man "Dank" MySpace, Youtube und Konsorten innerhalb einer Stunde mehr Eindrücke von neuen Bands und Alben bekommen, als man in seinem bisherigen Leben gehört hat und die Identifikation mit Alben wird aufgrund von Zeitmangels abgesagt.
Die Identifikation mit MOTÖRHEAD könnte aber aktuell kaum besser sein und dank der vollen Halle kocht auch die Stimmung beinahe über. Mit "Killed by Death" (ist der Songtitel nicht eigentlich total beknackt?) und dem legendären "Bomber" wird der reguläre Set beendet, aber man weist schon mal darauf hin, dass wenn wir auch laut genug sind, kommen sie gerne wieder. Naja, tosender Jubel und wahre Euphorie stellen die Fans heute Abend tatsächlich vor keine unlösbare Aufgabe und ziemlich zügig wird die Bühne präpariert und es werden zwei Hocker, eine Bassdrum und eine Hi-Hat aufgestellt. Das kann dann auch nur eines bedeuten: "Whorehouse Blues"! Und so ist es! Mickey Dee lässt uns staunen, wie er die Rhythmusgitarre, die Bassdrum und die Hi-Hat gleichzeitig spielen kann, Phil legt ein geiles Solo hin und Lemmy steht ohne Bass vor seinem Mikro, was eine echt ungewöhnliche Ansicht ist. Dazu kommt sein Mundharmonika-Part und fertig ist der fette Blues und nicht nur für mich ist dieser Song das Highlight der Show. Lemmy, gimme more Blues!
Aber anstatt Blues gibt es die größten Hits der MOTÖRHEAD-Historie: "Ace of Spades", bei dem die Halle den berühmten Text unglaublich lautstark mitsingt und vor dem letzten Song bittet Lemmy alle auf den Tribünen aufzustehen (er glänzt mit seinen Deutschkenntnissen: "Aufstehn!") und keiner widersetzt sich seinem Willen und schon läutet das furiose "Overkill" das schlichtweg atemberaubende Finale ein.

Unglaublich, wie eine Band mit drei Personen einen solchen Druck aufbauen kann, wobei auch der großzügig bemessenen Lautstärke (im Vorfeld wird von Spitzen um die 130dB gesprochen) einen gewissen Anteil daran haben wird, auch wenn der Sound nicht zwingend immer optimal war und ich manches Mal die Gitarre als zu verzerrt und übersteuert wahrgenommen habe. Weniger ist manchmal halt mehr, gerade was die Lautstärke betrifft. Aber die Band ist mit dem Rock'n'Roll eine dermaßen gewaltige Symbiose eingegangen, dass es einfach keine schlechten Gigs mehr geben kann. Früher musste man Glück haben und einen richtig guten Gig erwischen, heutzutage wäre es im Falle von MOTÖRHEAD eine Besonderheit, wenn man mal einen wirklich miesen Gig erwischt und dazu kommt die imposante Lichtshow, die die musikalische Urgewalt noch entsprechend in Szene setzt. Ganz großes Tennis!

Aber sonst? Ein großartiger Abend mit wirklich großartigen Bands, die durch ihre unterschiedliche Art dafür gesorgt haben, dass der Abend wie im Fluge vergangen ist und der MOTÖR-Hattrick einem Traumtor glich, auch wenn "Orgasmatron" heute wieder nicht gezockt wurde, aber vielleicht auf einer der nächsten Touren, Lemmy wird ja am Heiligabend schließlich erst 64 Jahre alt.

Wir bedanken uns tausendfach bei Ute K. für ihre liebenswürdige Hilfe und Unterstützung, Karsten von Hannover Concerts und natürlich den Bands, die uns das Leben mit Musik erträglicher gestalten. (chris)



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